Skip to content

Weihnachtsdepression 2020

Alle Jahre wieder - erwischt mich um die Weihnachtstage herum eine heftige Depression. Nur ist in diesem Fall außergewöhnlich, dass der Auslöser dabei ein Geschenk war, ein Spiel was sich als viel zu real erwiesen hat. Und mal wieder zeigt sich mit voller Brutalität, dass die ganze Persönlichkeitstypengeschichte viel mehr von unserem Leben bestimmt als einem lieb ist.

CK3 Blutlinie
So sollte die Blutlinie in Crusader Kings Drei wohl nicht aussehen ...

Kurz vor den Feiertagen war im Trierischen Volksfreund ein Artikel über "Computerspiele für die langen Winterabende" - und eines der vorgestellten Spiele war Crusader Kings 3. Ich bin zwar kein Hardcore-Gamer, aber im Laufe der Jahre hatte ich immer wieder mal Episoden in denen ich gespielt habe. Und meistens waren das Strategie- und Simulationstitel, erinnert sich noch jemand an die Reihe Caesar 1 bis 3? Oder um ein paar andere zu nennen: Imperialismus II, Christoph Kolumbus, Anno 1602, das legendäre Command & Conquer und das eher unbekannte Total Annihilation - gut, das Meiste ist halt schon ein paar Jahre her. Neuerdings habe ich mich an Cities:Skylines von Paradox versucht, dem gleichen Studio von dem jetzt also Crusader Kings 3 erschienen ist. Wundert das irgendwen, dass diese Liste auf die INTJ-Stereotype passt wie die Faust aufs Auge? (Zugegeben: etwas World of Warcraft war auch dabei, bis Level 80 jedenfalls, dann wurde es mir zu blöd und klar habe ich das mit vier Charakteren parallel auch anders gespielt als praktisch jeder andere mit einem Hauptcharakter).

An Heiligabend habe ich mir dann spontan den Titel geschenkt, nachdem mir die Beschreibung zugesagt hat und eine weitere Recherche das bestätigt hat. Da die wenigsten den Inhalt kennen dürften: Man schlüpft in die Rolle eines Herrschers im Frühmittelalter und das Spiel läuft dann bis 1453. Stirbt der Spielercharakter, macht man mit seinem Erben weiter. Das Ziel ist es also offensichtlich, eine regelrechte Dynastie aufzubauen und man hat dazu die volle Palette von Handlungsmöglichkeiten: von Heiratspolitik über Diplomatie, kriegerischer Eroberung, Ränkespiel von Verführung bis Mord, Entwicklung der eigenen Domäne ... wie sagte eine Rezension: Die Titel der Grand-Strategy-Serie von Paradox sind komplex ... - so schlimm fand ich den Einstieg gar nicht, das Tutorial ist gut gemacht und die Idee mit den verschachtelten Tooltips erklärt alles sehr gut. Nach dem Tutorial als irischer Kleinkönig konnte man weiterspielen und innerhalb von drei Generationen hatte ich auch praktisch ganz Irland unter Kontrolle und mein Charakter war Hochkönigin. Ziemlich gestresst zwar, weil Sie die Eigenschaft schüchtern hat, aber ansonsten stand ich gut da. Zu dem Zeitpunkt hatten sich die Britischen Inseln in drei Königreiche konsolidiert und eine weitere Expansion ist dann nicht mehr so einfach.

Also habe ich mir eine neue Herausforderung gesucht, zumal ich beim Stöbern im Netz noch ein paar Tipps gefunden habe wie man das Spiel auch spielen kann: Unter anderem kann man sich durch ausgewählte Heiraten kann man sich dank vererbbarer Eigenschaften wohl tatsächlich den Superherrscher züchten. Jedenfalls habe ich mir keines der vorgeschlagenen Szenarien ausgesucht, sondern habe 1066 als Herzog von Luxemburg angefangen, etwas Lokalkolorit muss sein. Mögliche Ziele gibt es genug, man kann das alte Lothringische Reich auferstehen lassen wenn man nicht wie Johann der Blinde gleich nach der Kaiserkrone greift. Es ist aber deutlich zäher, in der zweiten Generation hatte ich mit viel Manövrieren gerade mal drei zusätzliche Grafschaften erobert, aber im Prinzip stand ich gut da: Die Töchter in die umliegenden Herzögtümer verheiratet (außer denen natürlich deren Ländereien ich abjagen wollte) und so Bündnisse geschmiedet, mögliche Ansprüche auf drei weitere Grafschaften gesichert und ein Druckmittel gegen den Kaiser hatte ich auch, denn die Lehenspolitik verbietet an sich Kriege unter den Vasallen im Heiligen Römischen Reich.

Nur dann passierte etwas, was mich viel zu sehr ans Realleben und meine jetzige Situation erinnert hat und mich in der Folge völlig aus der Bahn geworfen hat. Wie der Name schon sagt: In die Zeit fallen die Kreuzzüge. Mangels Frömmigkeit und Geld musste ich mitmachen und meine weitere Planung sah vor, nach der Rückkehr aus dem Heiligen Land meine Pläne in die Tat umzusetzen und mein Territorium zu vergrößern, es war ja alles vorbereitet (typisch INTJ). Dass der Kreuzzug ein Fiasko wurde war ja noch verschmerzbar, die Aufgebote aus dem Landvolk waren ja einfach zu ersetzen. Was mich aber wie ein Hammer getroffen hat war aber dann die Pest, die anscheindend ein Reisemitbringsel war ... man schaut einfach nur noch zu wie der sorgfältig nach den bestmöglichen Eigenschaften ausgewählte Rat der Reihe nach krank wird und stirbt, der eigene Charakter und ein guter Teil der Verwandschaft auch, der einzige Sohn, die unmündige Tochter überlebt nur kurze Zeit ... in kürzester Zeit stand ich vor dem Scherbenhaufen meiner Pläne. Mit dem Herrscher waren die Bündnisse und das mühsam erarbeitete Druckmittel weg, was am Hof noch übrig war, waren nur noch Idioten. Es gab zwar eine Schwester als Erbin, aber die war auch schon alt und hatte auch nichts von dem geerbt was ich eigentlich vererben wollte.

... eigentlich genau das, was ich im RealLife auch habe. Nicht dass ich da ambitionierte Pläne gehabt hätte (danke nein, ich will kein deutschlandweites Küchenimperium aufbauen), einfach nur weiter Küchen verkaufen und montieren hätte ja gereicht, zumindest solange die vor zwei Jahren neu gemachte Ausstellung noch gut ist. Stattdessen bricht die Auslieferung in sich zusammen so dass ich anstelle Management machen zu können ständig mitfahren muss damit die verbleibenden Monteure keinen Mist bauen (genauso wie mit kleinen Kindern: schaut man einmal weg, machen sie was kaputt) und im Verkauf geht ein Verkäufer demnächst in Ruhestand und der zweite ist alles andere als belastbar und ich kann ja nicht gleichzeitig im Verkauf und in der Montage einen Mann ersetzen und dann noch das Management machen, der Tag hat ja nur 24 Stunden ... wenn das Leben nur noch aus Schlafen, Duschen, Essen, Arbeiten, Essen, Schlafen, repeat besteht, und das sieben Tage die Woche, dann macht das wirklich keinen Spaß mehr. Und man sich - blöde Persönlichkeit - am Montag nach Weihnachten vorwirft drei Tage frei gemacht (und gezockt und gelesen) zu haben, wenn man durchgearbeitet hätte wären X,Y und Z ja schon gemacht und man hätte keinen Stapel mit X,Y und Z während gerade neue zusätzliche Arbeit hineinkommt. Delegieren? Es gibt einfach keine fähigen Leute am Arbeitsmarkt, das ist leider eine Tatsache und die Folge von Jahrzehnten verfehlter Bildungspolitik und noch dazu den lokalen Gegebenheiten mit einem nahen Nachbarland was gleichzeitig niedrigere Sozialabgaben und ein besseres Sozialsystem hat (Rente mit 57, nur wer blöd ist bleibt da in Deutschland wenn es die EU-Freizügigkeit gibt und es nur ein paar Kilometer bis zur Grenze sind). Aus dem Gefühl würde ich sagen, dass sich die Bevölkerung des Landes tagsüber glatt verdoppelt und dem Berufsverkehr nach zu urteilen könnte das sogar stimmen.

Und einfach was ganz anderes zu spielen um sich abzulenken? Tja, auch da spiegelt sich das RL viel zu sehr wieder. DirtRally2 macht zwar Spaß, aber da habe ich die Wahl, entweder langsam und sicher zu fahren und abgehängt zu werden oder voll auf Angriff. Solange es gut geht stimmen da zwar die Zwischenzeiten, aber früher oder später kommt ein Fahrfehler (bei über Tempo 100 auf schmalen Waldwegen ja schließlich kein Wunder) und man endet wahlweise im Graben, an einem Baum oder den Abhang runter. Und anders als beim Vorgänger hat man mehr knallharten Realismus eingebaut als dass man nicht einfach nach einem Crash unbegrenzt neustarten kann. Die zweite Meisterschaftsstufe ist nicht sehr beeindruckend und ich sehe auch keine Möglichkeit auf diesem Level so weit vorne weiterzufahren um weiter aufzusteigen. Jedenfalls nicht in der mir zur Verfügung stehenden Zeit. Gleiches Problem beim Onlineschach, bei 1500 Punkten war da Schluss.

Im Grunde habe ich überall das Problem, dass ich bei allem was ich mache zwar besser bin als Otto Normalverbraucher, gegen diejenigen die es richtig machen aber keine Chance habe. Die Spezialisten mögen zwar nicht diese breite Palette an Fähigkeiten haben aber dafür kann ich mir nichts kaufen. Und die Geschichte mit den vererbbaren Eigenschaften und dem Heiratsmarkt in Crusader Kings erinnert mich viel zu sehr an die Situation in den Online-Partnerbörsen. Klar kommen Charaktere mit den Eigenschaften "Intelligent" oder gar "Genie" vor, aber die sind entweder vergeben oder ähnlich selten wie weibliche INTPs. Klar gibt es die, man braucht nur "STEM women" bei Youtube einzugeben, aber real existent? Nope. Kleine Randbemerkung: Das Thema bei diesen Videos ist überwiegend, dass viel mehr junge Frauen diese Karriere einschlagen sollten, was die Autoren aber entweder nicht wissen oder ignorieren ist die simple Erkenntnis, dass eben die Berufswahl sehr, sehr stark mit dem Persönlichkeitstyp korreliert und in Mathematik, Ingenieurs- und Naturwissenschaften sowie Technik sind das nunmal vorwiegend NTs und da gibt es einfach einen Geschlechterunterschied bei der Häufigkeit. Punkt.

Kurzum: praktisch unmöglich, jemanden zu finden der mir in der Breite ebenbürtig ist. Als Spezialist in einem kleinen Gebiet sicher, aber dann passiert ja das worüber ich im Artikel von Eilamona geschrieben habe: Es kann nicht Sinn der Sache zu sein, jemanden dann in der Breite zu bemuttern, das dürfte kaum Grund für Bewunderung sein. Und ich merke das ja jetzt bei der Küchenmontage: Die zwei mir verbliebenden Leute mit einem beziehungsweise zwei Berufsjahren sind mir weit, weit unterlegen nachdem ich jetzt drei Monate montiert habe. Konnte ich live erleben als wir zwei gleiche Küchen parallel montiert haben - eine perfekt und reklamationsfrei, eine nur noch Katastrophe. Einem alten Hasen, der schon vor zwanzig Jahren die aufwändigen Küchen mit Kranzgesimsbodenanlagen und allen Schikanen montiert hat dürfte ich nichts vormachen können, aber die sterben im Moment eben gerade aus.

Das Spiel führt einem als INTJ die schlichte Wahrheit nur zu deutlich vor Augen: Du kannst noch so gut planen, wenn man einfach nur Pech (wahlweise auch kein Glück) hat, dann kommt es zum Fiasko, egal wie gut man eigentlich ist und was man macht. Und wenn das mal kein kräftiger Auslöser für eine Depression ist ... vor allem eben als INTJ, dessen Stärke ja gerade darin liegt, zielorientiert und ambitioniert zu sein und gerade deshalb ja die Möglichkeit hat seine Pläne in die Realität umzusetzen. Nur wie bei allen diesen Persönlichkeitsdingen gibt es dabei zwangsläufig auch die Kehrseite der Medallie und das bedeutet, dass die Motiviation gerade davon kommt dass man bei diesem Vorhaben auch erfolgreich ist. Und wenn das nicht klappt und man mit einem heftigen Schlag vor dem Kopf nur zu deutlich klar gemacht bekommt dass man seine versammelten Pläne und Ziele glatt in die Tonne treten kann weil sie ohne Glück aus eigener Kraft nicht umzusetzen sind - und noch dazu das Glück schon seit längerer Zeit ausbleibt - ... wirklich nicht schön.

Irgendwann rafft man sich dann halt zusammen und The Show Must Go On. Nur löst das das Problem nicht wirklich. Man ist aber auch in den Zwängen seiner Persönlichkeit gefangen, wenn ich das mit INTPs vergleiche. Die haben zwar ein Problem damit langfristig erfolgreich zu sein, aber dafür hängen Sie aber auch nicht an langfristigen Plänen. Wenn ich INTPerspective als Beispiel nehme, habe ich im Moment überhaupt keine Idee wo Sie sich gerade aufhält nachdem sie von der Karibik in die Niederlande und dann in die USA gezogen ist. Und bei Wissenschaftlern scheint das auch so üblich zu sein, dass einen die Forschungsaufträge kreuz und quer durch die Welt führen (INTPs) und die niedergelassenen Professoren meistens die INTJs sind.

Der Realismus verlangt es dann wohl, dass ich dasselbe dann wohl auch im Spiel mache: aufraffen, Scherben zusammenkehren und weitermachen. Solange es einen Erben gibt und es noch nicht 1453 ist geht das Spiel ja weiter. Nur will man das?

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.
Formular-Optionen

Sie können auch über neue Kommentare informiert werden ohne einen zu verfassen. Bitte geben Sie ihre email-Adresse unten ein.