Skip to content

Staatshaftung

Das hier wird einmal ein politischer Artikel, ausgelöst von diesem Zeitungsartikel und meinen eigenen Erfahrungen die mir dann nochmal schmerzhaft bewusst werden. Hier hat also eine Verbandsgemeindeverwaltung gegen die Bundesrepublik Deutschland geklagt und verloren. Der ganze Spaß hat dann noch einen hohen fünfstelligen Betrag gekostet. Und ich hätte ihnen vorher sagen können dass das nichts wird.

Artikel im Trierischen Volksfreund vom 13.10.2021
Artikel im Trierischen Volksfreund vom 13.10.2021

Die Problematik hängt von mehreren Faktoren ab: Zuerst einmal gibt es in Deutschland kein Staatshaftungsrecht. Es ist ja schließlich für den Staat - sagen wir mal unpässlich - Gesetze zu beschließen auf deren Grundlage man verklagt werden kann und was-weis-ich-für-welche Leute auf einmal Ansprüche gegen den Staat geltend machen können. Das einzige was in diesem Zusammenhang halbwegs dafür in Frage käme wäre §839 BGB, der besagt dass ein Beamter persönlich bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit zum Schadenersatz verpflichtet ist, und bei Fahrlässigkeit auch nur wenn kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht. Dass der Staat für seine Handlungen haftet steht hier also gar nicht mal drin und obwohl es so viele Gesetze und Verordnungen auf der Seite des Justizministeriums gibt so dass man sie gar nicht mal zählen kann, taucht die Haftung des Staates nirgendwo auf.

§839 BGB ist in der Praxis wirkungslos, das Vorsatz ja praktisch nie vorkommt und außerdem vom Kläger nachgewiesen werden müsste, bei Fahrlässigkeit kann man ja Klage gegen den Bescheid erheben und der Beamte ist aus der Sache raus. Diese Geschichte ist übrigens interessant bei dem Hochwasser an der Ahr wo der Landrat ja viel zu spät Katastrophenalarm ausgelöst hat. Der Landrat ist ja jetzt dauerhaft beurlaubt oder in Vorruhestand versetzt worden, man kann aber darauf wetten dass er niemals wegen vorsätzlichem Fehlverhalten verurteilt werden wird, denn dann würde dieser Paragraph ja greifen und auf einmal hätten alle Flutopfer an der Ahr Ansprüche.

Aber was sagt die Rechtsprechung? Vor allem gibt es da eine mächtige Keule in Form eines Bundesgerichtshofurteils, III ZR 42/92. Damals wollte der Irak Schadenersatz wegen des Embargos 1994 haben, ist aber gescheitert weil das Embargo seinen Ursprung in einer Europäischen Anordnung hatte. In der Praxis wird das von allen Gerichten so ausgelegt, dass sobald irgendjemand anders seine Finger in der Sache hat, die Bundesrepublik aus der Sache raus ist. Meiner Erfahrung nach hat es sich so in der Rechtsprechung als ungeschriebener Grundsatz eingebürgert dass es grundsätzlich keine Haftung der Bundesrepublik Deutschland gibt.

Der Europäische Gerichtshof ist da zwar weiter und hat ja unter anderem mit dem Urteil Brasserie Pêcheur festgestellt, dass die Staaten für ihre Fehler gegenüber Bürgern und anderen Rechtssubjekten haften müssen. Wenn man sich aber das weitere Verfahren in diesem Fall anschaut hat der BGH trotz dieser Feststellung des EuGH ein Schlupfloch (Verjährung) gefunden weshalb es keinen Schadenersatz gibt und die Brauerei ist leer ausgegangen. Ich habe ziemlich lange gesucht und konnte wirklich keinen Fall finden wo jemand tatsächlich Schadenersatz von der Bundesrepublik bekommen hätte, irgendetwas hat sich immer gefunden.

Deshalb kann ich mir auch mein Urteil an die Wand nageln. Ich hatte damals versucht, die erste Fassung der Elektroschrottrichtlinie anzugreifen. Wie bei Gesetzen in Deutschland auch fummeln ja Heerscharen von Personen und Institutionen an einem Gesetzentwurf herum bis jeder die Sachen drinstehen hat die er will und das ganze mehrheitsfähig ist. Nach bester "viele Köche verderben den Brei"-Manier ist das Endergebnis dann handwerklich eher bäh. Grundsätzlich sind die Hersteller für die Entsorgung der Elektroaltgeräte verantwortlich, aber die kleinen Länder haben dann durchgesetzt dass auch Importeure innerhalb der EU herangezogen werden. Und Deutschland hat das dann mit einer typischen halbstaatlichen Stelle umgesetzt die den Schrott auf die Hersteller verteilt während in Luxemburg die zuständige Organisation von den Importeuren Abgaben verlangt. Und weil meine Lieferanten die Entsorgungskosten nachweislich auf die Preise umgelegt haben und ich als Importeur in Luxembourg nochmal zahlen muss und nicht vorgesehen ist dass ich in Deutschland als Nicht-Hersteller für den Export von den Kosten befreit werde wirkt das ganze wie ein Ausfuhrzoll und ist nach den EU-Verträgen verboten.

Aber: juristisch dagegen machen kann man rein gar nichts. Rein prinzipiell hätte man bei der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht darauf achten müssen dass eine solche Situation nicht entsteht, dass man in Deutschland beim Export in andere EU-Länder entschädigt wird. Das steht zwar so nicht in der Richtlinie drin, aber den Spielraum hatte der deutsche Gesetzgeber, genauso wie die Schrott-Verteilstelle ja auch nicht in der Richtlinie steht. Und wenn man es genau nimmt: im Urteil T-16/04 Arcelor gegen Parlament und Rat (wo es auch um eine Richtlinie ging) steht das so auch ausdrücklich drin, dass die Mitgliedsstaaten einen Spielraum bei der Umsetzung haben und diesen auch ausnutzen müssen damit die Umsetzung die Grundrechte nicht verletzt. Außerdem müssen die nationalen Gerichte bei einem Problemfall diesen dem EuGH vorlegen. Alles das war dort die Begründung dafür, dass es keinen Anspruch gegen die EU gibt. Alles klar? - Nope. Das OLG Naumburg hat nach bestem schwarzer-Peter-Spiel das Urteil einfach ignoriert und geschrieben "die Verantwortung liegt bei der EU und deshalb ist nach dem Irak-Urteil Deutschland nicht verantwortlich und deshalb habe ich keinen Anspruch". Eigentlich hätten sie ja als letzte Instanz die Sache dem EuGH vorlegen müssen - die wären die richtige Stelle um das aufzudröseln -, um das aber nicht tun zu müssen haben sie einfach Revision zugelassen. Und in der Revision bin ich dann von meinem Spezialanwalt für den BGH einfach abgewürgt worden, der hat erstmal die Frist bis zum gehtnichtmehr verlängert und sich dann geweigert wegen Aussichtslosigkeit die Revision zu begründen. Dabei hatte ich das schon für ihn getan, ich kann auch Rechtsdeutsch: Revisionsbegründung. Womöglich war ihm die 4.000 Euro Streitwert auch einfach zu wenig weil ich ihn nicht pro Stunde (300 € aufwärts) bezahlen wollte. Was noch dazu kommt: Die Höhe des tatsächlichen Schadenersatzes konnte ich ja gar nicht angeben, weil das Gesetz eben ausdrücklich so gemacht ist dass die Kosten heimlich eingepreist werden. Und das hat man mir dann auch noch zur Last gelegt. Als ob eine Vertuschung durch den Täter aus Unrecht Recht machen würde: "Sorge einfach dafür dass man den Schaden nicht beziffern kann, dann bist Du aus dem Schneider". Aber selbst dafür habe ich EuGH-Urteilspassagen gefunden die ausdrücklich festhalten dass zollähnliche Abgaben nicht einfach verschwinden wenn Sie in der Lieferkette weitergereicht werden und nicht auf den Cent nachgewiesen werden können.

Egal wie man es nimmt, mit Recht und Gerechtigkeit hat das gar nichts zu tun. Und weil das ganze System hat - "die Bundesrepublik Deutschland zahlt ihren Subjekten keinen Schadenersatz weil sie für ihre Handlungen juristisch nicht verantwortlich ist" war es auch von Anfang an klar, dass die Verbandsgemeinde keinen bekommt. Normalerweise führe ich ja gerne eine Argumentation ad absurdum um zu zeigen dass sie nicht allgemeingültig ist. Hier ist das gar nicht mal nötig. Laut dem Artikel geht es ja darum, dass die Schadstoffe nicht alleine vom Flugplatz herrühren. Normalerweise hätte ich hier eine 1000 Liter zu 1 Tropfen-Zuspitzung gemacht, so nach dem Motto: "Hä, wegen deinem Tropfen ist nicht mehr alles von mir" - aber die Realität ist ja genau so: Da hat die Airforce jahrzehntelang mindestens einmal die Woche eine Übung mit Schaum gemacht während auf der anderen Seite ein einziger Schaumteppich gelegt wurde - und dann soll der Verursacher von 99% + x des Schadens auf einmal wegen nicht-voller Verantwortlichkeit aus der Sache heraus sein? Das ist das Thema von vorhin: Weil die Gemeinde den selbst verschuldeten Anteil nicht auf mehrere Stellen hinter dem Komma beweisen kann ist der eigentliche Verursacher raus. Selbst wenn das tatsächlich Recht ist, ist das gerechtigkeitsmäßig ein Witz.

Man stelle sich mal vor, das wäre ein allgemeiner Rechtszustand, dass man nur für etwas verantwortlich ist wenn man unzweifelhaft die volle Verantwortlichkeit dafür hätte. Das ganze Verkehrsschadensrecht würde in sich zusammenfallen weil man ja immer eine Mitschuld durch die Betriebsgefahr hat. Oder wenn jemand zu schnell fährt und der Hintermann nicht den Abstand einfällt? Mitverantwortung wegen Drängens von hinten, keine Strafe.

Mein Vertrauen in die Gerichtsbarkeit ist jedenfalls zerstört, wenn ein Europäischer Gerichtshof zwar festhält dass die Regelungen in den Verträgen zu Rechten für die Unionsbürger führen auch wenn die Mitgliedsstaaten handwerkliche Fehler machen, die deutsche Rechtspraxis aber den Staat für quasi unfehlbar hält und solche Begehren konsequent abwürgt. Möglicherweise war das sogar ein abgekartetes Spiel weil es ja nur ein Dutzend bei BGH zugelassene Anwälte gibt und wenn die Revision stattgefunden hätte die ganze Aktion ja dem EuGH hätte vorgelegt werden müssen. Viel einfacher wenn der Fall eingestampft wird. Dass das Bundesverfassungsgericht ja zuerst die Brandmauer durchbrochen hat und das Grundgesetz im Falle des Rettungsschirms vor den EuGH gestellt hat kommt ja noch dazu und damit sind diese Richter mitschuldig an der Situation in Polen wo deren Gerichtshof diese Linie freudig aufgenommen und konsequent fortgeführt hat.

Aber selbst wo wir jetzt Koalitionsverhandlungen haben: Es wird sich wohl niemals eine Partei und Politiker finden die solche Fässer aufmachen und endlich einmal dafür sorgen dass die staatliche Verantwortung samt Rechtsmonopol auch einklagbare Verpflichtungen mit sich bringt.


Nachtrag: Natürlich ist das ein abgekartetes Spiel und undemokratisch, wenn der einfache Bürger zwar theoretisch das Recht hat, ein Gesetz anzufechten was z. B. EU-Recht widerspricht, in der Praxis aber die Anwälte (die das genauso theoretisch machen müssten) für das gesetzlich festgelegte Honorar keinen Finger rühren, besonders bei so etwas komplexem. Und der einfache Bürger es sich nicht leisten kann ein Vielfaches des Streitwertes dafür auszugeben. Und die Gerichte sich nach irgendwelchen ungeschriebenen Gesetzen richten um da keinen Präzedenzfall für Staatshaftung draus zu machen.

Wenn man sich aber anschaut was gerade in den USA abgeht dann könnte alles noch viel schlimmer sein. Die haben zwar auf der Plus-Seite ein Gesetz womit ein Kläger an die Informationen kommen kann die der Beklagte vor ihm versteckt (die Fox News - Geschichte wo die Emails herausgegeben werden mussten auf denen die Klage dann basieren konnte), aber dort ist noch viel mehr entscheidend ob man Geld und Einfluss hat. Jeder normale Mensch, der auch nur drei Geheimdokumente mitgenommen und anderen Leuten gezeigt hat wäre sofort vom FBI verhaftet worden, hätte jahrelang in Untersuchungshaft geschmort und wäre in den Knast gewandert. Ist man Donald Trump, dann dauert das vier Jahre bis es überhaupt zum Prozess kommt und dann bleibt man immer noch auf freiem Fuß. Und nicht zu reden von der Tatsache, dass sie alle möglichen Orte gleichzeitig durchsucht hätten, ich bin mir ziemlich sicher dass Trump noch anderswo Dokumente versteckt hat.

Der Supreme Court ist noch schlimmer: man hat Richter die auf Lebenszeit ernannt sind mit unüberwindbaren Hürden für eine Amtsenthebung - weil die Richter politisch besetzt werden und man der Entfernung der "eigenen" Richter zustimmen müsste. Trump hat drei Richter ernannt, davon einer der eigentlich Obama zugestanden hätte. Die restlichen drei konservativen Richter stecken bis zur Nasenspitze in Korruptionsskandalen und werden offensichtlich von den rechtsradikalen Milliardären hofiert deren politische Agenda sie umsetzen wie eine ungewählte weitere Kammer des Parlaments. Und dabei Jahrzehnte alte vorherige, gefestigte Rechtsprechung aus dem Fenster werfen, ohne Rücksicht auf Verluste. Wenigstens davon sind wir hier in Deutschland weit entfernt.

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.
Formular-Optionen

Sie können auch über neue Kommentare informiert werden ohne einen zu verfassen. Bitte geben Sie ihre email-Adresse unten ein.