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Und am Ende siegt die Entropie

Für alle, die es nicht wissen: Eines der fundamentalsten Naturgesetze, der zweite Hauptsatz der Wärmelehre, besagt dass die Entropie in einem geschlossenen System immer nur zunehmen kann. Die Entropie ist so etwas wie das Maß der Unordnung und an einem Beispiel sieht das etwa so aus dass man ein Stück Kantholz (schön quadratisch, mit glatten Seiten etc.) zwar zu einem Haufen Asche verbrennen und verstreuen kann, das aber nicht umgekehrt funktioniert. Man kann zwar mit der Asche die Erde düngen um daraus einen neuen Baum wachsen zu lassen, dazu muss man aber Energie in Form von Sonnenlicht und Wärme zuführen.

Man muss schon eine Mathe-Physik-Freak zu sein um eine über Entropie definierte existentielle Krise zu haben. Wie damals das andere Mathe-Physik-Genie in meiner Klasse die einen Alptraum darüber hatte dass sich die Sonne zu einem Roten Riesen aufbläht und die Erde verschlingt (was über die Entropie genauso unausweichlich feststeht, wenn auch erst in fünf Milliarden Jahren).

Der Mensch hat zwar grundsätzlich das Problem mit der finalen Gewissheit der Entropie leben zu müssen - wir landen alle früher oder später als Asche in einem Grab was dann auch noch mit der Zeit verschwindet - aber im Moment habe ich diese Krise schon lange vor meinem Ableben weil ich zusehen muss wie überall um mich herum die Entropie auf dem Vormarsch ist und alles in Chaos, Unordnung und Zerstörung versinkt. Es heißt ja angeblich, dass der "stete Tropfen höhlt den Stein", das stimmt aber nicht so ganz. Vielmehr sind es die seltenen, aber dafür umso zerstörerischen Einzelereignisse die für einem Großteil der Veränderung verantwortlich sind, wie eben das Hochwasser im letzten Jahr.

Wenn ich morgens durch den Ort fahre dann komme ich an der ehemaligen Haupteinkaufsstraße vorbei:

Graf-Dietrich-Straße in Neuerburg
Graf-Dietrich-Straße in Neuerburg, alle Geschäfte sind leer und zerstört, auch noch ein Jahr nach der Hochwasserkatastrophe

es ist ein Jahr nach der Katastrophe immer noch alles kaputt und das wird sich auch wohl nicht mehr ändern. Vor der Katastrophe waren die Geschäfte "nur" leer, jetzt sind sie leer und kaputt und es wird in absehbarer Zeit wohl auch niemand Energie = Geld investieren um wieder Ordnung herzustellen. Wenn ich mir überlege, wie viele Geschäfte es vor vierzig Jahren zu meiner Kinderzeit in dieser Straße gab: einen Zeitschriften- und Geschenkeladen, zwei Schuhläden, eine Metzgerei, zwei Modegeschäfte, ein Reisebüro, einen Blumenladen, eine Bäckerei, ein Optiker und ein Friseur. Alles weg und kommt nie wieder. Und das war nur in dieser einen Straße, es gab ja im Ort noch eine weitere Bäckerei, noch zwei Metzgereien, einen Spielwarenladen und so weiter.

Dass das Leben steter Veränderung unterworfen ist ist ja per se nicht schlecht, auch wenn Konservative die Uhr gerne anhalten oder zurückdrehen würden. Niemand will wieder sein Nokia-Handy zurück wenn es jetzt das neue JPhone 43 gibt mit dessen neuer 3D-Rundum-Superkamera man nachts einen Euro auf dem Mond fotografieren kann und das in etwa den gleichen Preis hat wie das Nokia damals.

Auf der anderen Seite gab und gibt es viele Sachen die der Zerstörung anheim fallen die aber noch gut waren. Wenn ich mein ebenfalls überflutetes Lager sehe da habe ich über die Jahrzehnte viel Energie investiert um Sachen zu schaffen oder zu verbessern und das ist alles kaputt und ich müsste die gleiche Energie nochmal aufbringen nur um den vorherigen Zustand wiederherzustellen, von Fortschritt ganz zu schweigen. Gleichzeitig muss ich zusehen wie das ganze Gebäude langsam verfällt - und sei es "nur" die Hecke und die Wiese davor die verwildern - aber die zur Verfügung stehende Energie reicht eben nicht aus um diesen Prozess aufzuhalten und gleichzeitig die Zerstörung in absehbarer Zeit rückgängig zu machen. Die Entropie gewinnt halt am Ende immer.

Nachdem die Betonwände in meinem Untergeschoss nass geworden sind kann man anhand der Rostspuren und Risse jetzt gut sehen wo die Bewehrung rostet und wo der Beton zuerst saniert werden müsste. Ich habe die Fachfirma der Region auch schon dreimal angeschrieben und war auch persönlich schon in deren Büro, aber man ignoriert meine Anfragen einfach und macht mir noch nicht einmal ein Angebot. Und das ist nur ein Beispiel von einer ganzen Liste von Verfallserscheinungen. Und meine eigenen Bemühungen sind wie die Tropfen in einen Eimer mit einem großen Loch im Boden, keine Chance dieses Rennen zu gewinnen, selbst wenn man das Geld dafür hat. Und im großen Maßstab zerstört Wladimir P. in Monaten gerade Infrastruktur und Leben in der Ukraine die ebenfalls Jahrzehnte gebraucht haben um erschaffen zu werden und diese Zerstörungen werden auch in Jahrzehnten noch nicht ganz beseitigt sein. Nach dem Untergang des römischen Reiches hat es weit über 1.000 Jahre gedauert bis die Menschen wieder ein vergleichbares Wohlstandsniveau erreicht haben.

Und im übertragenen Sinn gilt dieses Problem für alle meine Bemühungen. Zwei Artikel vorher habe ich ja über mein Experiment mit Schach in der Stadt geschrieben und ich habe eine Redakteurin bei der Zeitung angeschrieben die sagt sie wäre mit mir per Du. Nur dass sie noch nicht einmal auf meinen Brief geantwortet hat. Ich wollte eigentlich nur einen Kontakt zur Stadtverwaltung und etwas Berichterstattung falls es klappt hier etwas auf die Beine zu stellen, aber nix da. Ich habe jetzt einfach an die Zentraladresse der Stadtverwaltung geschrieben aber es ist sehr unwahrscheinlich dass hier etwas passiert. Das wäre ja mal etwas neues, ein Fortschritt, ein wenn auch noch so kleiner Sieg gegen die Entropie, aber Pustekuchen. Es wäre so ein schönes Gefühl wenn zu diesem Zweck einmal jemand mit mir an einem Strang ziehen würde, aber das wäre ja zu schön um wahr zu sein.

Korrektur: Ich habe doch noch eine Antwort bekommen mit der Mailadresse der Pressestelle und einem Namen, also versuchen wir es auch noch dort ...

Habe ich gerade eine Depression? Schwer zu sagen. Es steht und fällt aber alles mit dem persönlichen Energieniveau und wenn man erkennen muss dass der ganze Einsatz persönlicher Energie ja am Ende nichts bringt und das unausweichliche nur verzögert dann wird das trotz meines kleinen Männchens auf der Schulter immer schwerer sich zu motivieren und diesen verlorenen Kampf zumindest weiterzukämpfen in der Hoffnung dass sich das Blatt dann doch irgendwie noch wenden möge.

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