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Regen, Hochwasser und warum man Landrat Pföhler nicht verurteilen wird

Wissenschaft fängt im Kleinen an, man braucht kleine komplizierten Meßgeräte dafür. Nur den Willen, Zahlen zu verwenden um die Welt zu verstehen.

Nachdem es ja seit Wochen nur Regenwetter wird kommen natürlich Befürchtungen auf, die Katastrophe vom 14. Juli 2021 könnte sich wiederholen. Aber was ist da eigentlich passiert - wissenschaftlich, in Zahlen?

Der Bach der durch unsere Stadt fließt - die Enz - läuft normalerweise in einem kanalisierten Bachbett.

Die Engstelle im kanalisierten Bachbett
Die Engstelle im kanalisierten Bachbett bei normalem Durchfluss

Dasselbe, was ich im Sommer vom Müll befreit habe. Nach der Dürre lag es praktisch trocken. Nach den Regenfällen der letzten Wochen steht es wieder relativ hoch und es stellt sich die Frage, wieviel Regen noch fallen darf bevor es wieder eine Überschwemmung gibt.

Das Tolle: Zahlen können einem sehr viel verraten, wenn man wissenschaftlich denkt. Ich bin also ans Bachbett gegangen, habe mit Schritten gemessen und die Fließgeschwindigkeit in Sekunden abgezählt. Einmal vor, und einmal hinter der Unterführung (wo es sich damals gestaut hat).

Dabei kam heraus:
Breite: 5 Meter, Höhe 1,2 Meter, Geschwindigkeit 1,0 Meter pro Sekunde.
Auf der anderen Seite: 5 Meter x 1 Meter x 1,3 Meter pro Sekunde.

Ergibt 6 bzw. 6,5 m³ / s als Volumenstrom. Ziemlich gut für geschätzte Werte und mit einundzwanzig, zweiundzwanzig ... gemessene Sekunden. Wahrscheinlich war es dann wohl nicht 1,0 Meter sondern 90 Zentimeter und dann würde es wieder passen. Die Brücke ist etwa 1,8 Meter hoch (ich musste den Kopf einziehen) und wenn es sich staut, dann erhöht sich der Durchfluss trotzdem ... sagen wir also die kritische Menge sind etwa 12 m³/s. Das ist der eine Teil.

Für den anderen Teil benötigt man Google Maps ... und dann komme ich auch dazu was das ganze mit dem Landrat zu tun hat.

Das Einzugsgebiet kann man auf dem Satellitenbild recht gut sehen da die Talränder bewaldet sind. Dadurch kann man die Bachläufe verfolgen und sehen wo das Wasser hinfließt. Neben der Enz sind das der Gaybach, die Irsen, die Prüm und der Radenbach. Das Gebiet mit der "Entfernung messen" Funktion abgesteckt ergibt etwa 55 Quadratkilometer.

Jetzt wird es etwas kompliziert. Der Weg den ein Wassertropfen zurücklegen muss ist ja unterschiedlich lang und das Wasser fließt ja teilweise auch viel langsamer als die 1,0 m/s im Bach. Es ist also schwer zu sagen, wie lange ein Wassertropfen durchschnittlich braucht, beziehungsweise wird ein Regenschauer zu einem Anstieg in etwa nach der Zwölftelregel führen, d.h. etwa die Hälfte der Gesamtmenge kommt in einem Drittel der Zeit am Meßpunkt vorbei, der Rest verteilt sich.

Einfacher ist aber das Equilibrium zu berechnen. Bei einem kontinuierlichen Regen von 1 mm pro Quadratmeter - 1.000 m³ pro Quadratkilometer - sind das 15 m³/s. Wenn also über die Zeit die ein Regentropfen für seine Reise braucht kontinuierlich diese Menge fällt dann würde es also an der Brücke stauen. Aber wie viel fällt denn so?

Eine meiner Lieblingsseiten bezüglich Wetter ist wetterzentrale.de, da hat man Zugriff auf die tatsächlichen Karten verschiedener Wettermodelle und ich habe dort auch das Beobachtungsarchiv für Niederschläge gefunden. In den letzten Wochen lag der Niederschlag immer so im Bereich zwischen 5 und 15 mm in 24 Stunden, also entsprechend unter der kritischen Grenze von 1 mm pro Stunde. Um Weihnachten herum (am 22. Dezember) waren es auch mal 20 mm, was sich mit meiner Erinnerung deckt das das Wasser etwa 1,6 Meter hoch gestanden hat, also vielleicht 10 m³/s. Es gibt aber sicherlich auch einen gewissen Schwund durch Versickerung, die 50 Quadratkilometer sind ja nicht mit Plastikfolie ausgelegt. Vielleicht komme ich da mal dazu das zu erforschen, das müsste sich aus dem Verlauf der Pegel und der Niederschläge ergeben, genauso wie besagte Zeitspanne für den Weg des durchschnittlichen Wassertropfens.

Und jetzt kommen wir zum 14. Juli 2021. Ich kann es nur schätzen, aber zusätzlich zu den 10 m² des Bachbettes hat der Bach ja damals noch die Hauptstraße etwa 1,3 Meter hoch, 16 Meter breit und die Marktstraße 0,8 Meter hoch und 13 Meter breit eingenommen. Angenommen dass die Strömungsgeschwindigkeit im wesentlichen vom Gefälle abhängig ist und unverändert bei 1,3 m/s liegt ergibt das für die Flutnacht einen Abfluss von 30 m³/s, also der fünffachen Menge dessen was gerade vorbeifließt. Das ist eine Menge.

Also auf der Seite den 14. Juli 2021 eingestellt und das sieht so aus:

wetterzentrale.de: Reanalysis 2021-07-14 Tagessumme Niederschlag
wetterzentrale.de: Reanalysis 2021-07-14 Tagessumme Niederschlag

Für das Einzugsgebiet der Enz sind wir da bei über 100 (!) mm pro Quadratmeter in 24 Stunden. Am Tag davor waren es nochmal 25, der Grundlevel war damit sowieso schon erhöht.

Das kommt übrigens ganz gut mit der Schätzung von 30 m³/s hin, zumindest mal von der Größenordnung. Die 30 m³/s auf dem Höhepunkt der Welle werden wohl für 3 Stunden geflossen sein, und etwa 9 bis 12 Stunden mehr als 12 m³/s.

Aber wenn man den lila Bereich auf der Karte sieht dann müssen ja bei jedem der halbwegs Menschenverstand hat sämtliche Warnglocken angehen. Und es kam ja nicht aus heiterem Himmel sondern war ja so auch vorausberechnet worden, die Vorhersagen sahen ja ähnlich aus.

Es ist also sonnenklar, dass Regierung und Verwaltung sträflich unterlassen haben ihre Bürger zu schützen. Und Landrat Pföhler ist da ein besonders schlimmes Beispiel, der sich einfach irgendwo verkrochen hat.

Natürlich hätte man bezüglich der Sachschäden nicht viel verhindern können, bauliche Maßnahmen brauchen Zeit. Aber die über hundert Toten wären allesamt vermeidbar gewesen, wenn schon ich mit Papier, Bleistift und Taschenrechner in etwa die Höhe einer Flutwelle aus dem Niederschlag abschätzen kann. Und dafür gibt es ja ein extra Amt in der Verwaltung mit Leuten die das studiert haben und Computermodelle haben.

Und jetzt kommen wir zum Rundumschlag. In meinem kritisierten letzten Artikel habe ich ja mit dem Gedanken gespielt dass wir mit einer Expertokratie besser dran wären, auch wenn die Experten damit dikatorische Vollmachten hätten. Wenn sie denn von einer funktionierenden Justiz kontrolliert würden die nach einem im gesellschaftlichen Konsens beschlossenen Gesetzesrahmen arbeitet.

Das Problem ist, das das in der Bundesrepublik Deutschland schon heute nicht klappt. Ich habe das in vorherigen Artikeln schon mal angeschnitten, aber das Staatshaftungsrecht ist ziemlich dünn und eine der wenigen Regelungen ist die Amtspflichtverletzung §839 BGB. Die würde tatsächlich eine Haftung nach sich ziehen wenn der Landrat seine Obhutspflicht für seine Bürger verletzt hat (und bei den Fakten scheint das ja ziemlich klar zu sein ...).

Das kollidiert aber mit dem ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, dass es praktisch niemals einen Schadenersatz für einen Bürger wegen Staatsversagen gibt. Das steht nirgendwo, ist aber gängige Rechtspraxis. Als Normalbürger weiß man so was auch nicht, das findet man erst heraus wenn man es tatsächlich mit so einem Fall vor Gericht versucht. Der EuGH hat anders entschieden, schaut man sich aber die dazugehörigen nationalen Fälle an stellt sich heraus dass die Gerichte immer einen Grund gefunden haben warum der Bürger keinen Anspruch hat. Ich habe jedenfalls keinen gefunden wo es tatsächlich Staatshaftung gegeben hätte.

Und weil aber bei einer Amtspflichtverletzung Pföhlers zumindest die Hinterbliebenen der Opfer einen dann nicht mehr wegzudiskutierenden Anspruch hätten wird man ihn nicht verurteilen. Klar, man ermittelt, aber zur Anklage wird es nicht kommen. Irgendeinen Grund wird man schon finden, aber genauso wie in den anderen Fällen von eklatantem Staatsversagen wird das dann immer auf Fahrlässigkeit beschränkt wo sich nach Absatz 1 immer ein Ausweg aus der Staatshaftung findet weil der Bürger ja immer theoretisch andere Möglichkeiten des Rechtswegs hat.

Und damit ist natürlich auch der Gedanke einer Expertokratie zum Scheitern verurteilt, denn man kann jemanden nur dann mit weitreichenden, antidemokratischen Vollmachten ausstatten wenn sichergestellt ist dass die Handlungen auch innerhalb des gesteckten Normenrahmens bleiben und man sowohl persönlich als auch als Institution Staat dafür verantwortlich ist. Das ist im Besten Sinne der Gewaltenteilung weil es die sehr weitreichenden Vollmachten des Regierenden mit eben genauso weitreichenden der Regierten ausgleicht. Und in dem Fall wären vor keinem Wertekodex der Welt die Todesopfer zu rechtfertigen gewesen.

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