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Verhandeln - echt jetzt?

Die Diskussion in Deutschland über den Ukraine-Krieg geht ja hoch her. Scholz sträubt sich immer noch in der Panzerfrage Farbe zu bekennen, in Ostdeutschland sind 59 Prozent gegen die Lieferung von Panzern, Rommy Arndt vom MDR hat in einem brisanten Kommentar behauptet, dass man Deutschland damit "in einen Krieg hineintreiben" würde und Putin würde "in der Ukraine ein Exempel statuieren", der NATO "die Grenzen aufzeigen, damit sie nicht noch näher an Rußland heranrückt" und Deutschland solle dem nicht entgegentreten weil es "in Rußland so viel Leid und Zerstörung angerichtet" hätte.

Und angeblich 77% der Deutschen wollen, dass man Verhandlungen mit Putin in die Wege leitet.

Geht es noch??? Ich antworte damit nur mit einer Grafik:

Europa 1943
Europa 1943

So sähe Europa jetzt aus, wenn die Alliierten 1943 mit Hitler verhandelt hätten, auf der Basis des Status Quo und ohne weitere Zugeständnisse. In der Ukraine stehen ja die von Russland annektierten Provinzen Donezk, Luhansk, Saporizia und Cherson in ihrer Gänze auch noch zur Diskussion, Putin hat diese ja komplett annektiert obwohl sie nur teilweise besetzt sind.

Und Hitler hätte dem wahrscheinlich sogar zugestimmt, er hätte damit ja im wesentlichen bekommen was er wollte (unter anderem die ganze Ukraine). Und hätte mit seinem Holocaust fröhlich weitermachen können, das wäre dann ja eine innerdeutsche Angelegenheit gewesen in den sich die Westmächte gefälligst nicht einzumischen haben. Und wenn er die ganzen Industrien und das menschliche Potential der neuen Gebiete in ein paar Jahren richtig verdaut hat könnte man immer noch über eine zweite Runde nachdenken. Und selbst wenn die Amerikaner dann die Atombombe gehabt hätten: So weit wären die Deutschen davon auch nicht weg gewesen. Heisenberg hat das 1945 in Farm Hall so ziemlich nachvollzogen wie es die Amerikaner gemacht haben.

In den deutschen Medien gab es immer einen großen Aufschrei wenn irgendjemand irgendetwas mit dem Holocaust in Verbindung gebracht hat (man erinnere sich an das Mahnmal), es wurde immer die "besondere Verantwortung" herausgestellt, die man aufgrund der Geschichte hat. Und es waren eben zwei fundamentale Verbrechen an der Menschlichkeit: Der Holocaust und der Angriffskrieg. Das kann doch gar nichts anderes bedeuten, dass wir uns als Nation eben in der besonderen Verantwortung sehen dass solche Verbrechen nicht mehr passieren und Putin veranstaltet in der Ukraine genau das: einen Angriffskrieg und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (man denke nur an Butscha).

Nein, die Alliierten mussten diesen Krieg bis zum bitteren Ende führen und das Argument dass man damit "unnötige Opfer vermeiden" war damals genauso falsch - jeder zweite Deutsche starb in den letzten Jahren des Kriegs und auf der anderen Seite sah es ja nicht viel anders aus.

Und selbst dem (nachvollziehbaren) Verlangen auf deutscher Seite, alles möge doch so schön, billig und einfach sein wie vorher steht man sich selbst im Weg. Selbst wenn es einen Verhandlungsfrieden mit Putin geben würde glaubt doch niemand ernsthaft dass das Gas zu Vorkriegskonditionen wieder fließt?

Es gibt ein Best-Case-Szenario: Die Ukraine startet eine Großoffensive, stößt nach Melitopol vor, zwingt damit Rußland nochmal die Hälfte des bisher eroberten Territoriums abzugeben (inklusive der Krim die dann nicht mehr haltbar ist), Rußland zieht den Schwanz ein und sich wie damals aus Afghanistan zurück (und ja, Atommächte haben regelmäßig Kriege verloren, auch die Amerikaner in Afghanistan und Vietnam, die Franzosen in Algerien und Indochina ...), in der Folge gibt es einen prowestlichen Umsturz in Moskau und westliche Firmen können dann wieder groß in Rußland investieren und die Weltwirtschaft boomt wieder.

Ist zwar unwahrscheinlich, aber das optimale Szenario auf das man hinarbeiten müsste. Und wenn Scholz etwas gemacht hat dann hat er mit seiner Verzögerungstaktik genau das Gegenteil erreicht. Die beiden Alternativszenarien sind nämlich genauso schlecht:

  1. der Krieg dauert ewig, bis zur völligen Erschöpfung einer Seite
  2. Putin gewinnt und dann ist die Frage wer als nächster dran ist und wer alles in der Ukraine gesäubert wird

Es mag aus verschiedenen Gründen richtig gewesen sein, nicht von Anfang an alles zu liefern. Da es aber einzig und alleine Putin ist der darüber entscheidet ob der Konflikt eskaliert oder nicht verfolgt die deutsche Strategie bisher nur das Ziel, sich hinter den anderen zu verstecken, nach dem Motto: "Greif doch die Polen oder das Baltikum an, die haben doch zuerst geliefert".

Rommy Arndt mag vielleicht auf eine schräge Art sogar Recht haben dass der Konflikt unausweichlich war weil eben Putins Hegemonialstreben mit dem Sicherheitsbedürfnis der nach Westen strebenden Exmitglieder des Warschauer Paktes früher oder später eskalieren musste. Aber es ist eben grundfalsch zu glauben dass man das mit Appeasement beilegen könnte, das hat noch nie funktioniert.

Putins Atomdrohungen mögen real sein und Deutschland hat hier tatsächlich das Handicap, anders als Großbritannien und Frankreich nicht über eigene Atomwaffen zu verfügen. Das richtige wäre es gewesen von Anfang herauszustellen dass man die UN-Charta verteidigt und es der Ukraine ermöglicht sich zu verteidigen, mit allen Waffen die dafür nötig sind. Schon am Tag eins hätte man mit den Rüstungsherstellern reden müssen damit diese die Produktion hochfahren, über die genauen Details kann man ja später noch verhandeln. Weil es ja von Anfang an klar war dass die Sicherheitslage ab diesem Tag für immer eine andere sein wird. Und wenn die NATO geschlossen handelt und es sonnenklar ist dass es im Falle eines Nukleareinsatzes zu einem Gegenschlag kommt dann kann man auch liefern "whatever it takes" wie die Amerikaner klargestellt haben. Selbst wenn Putin erweiterten Suizid begehen wollte, da würden seine Minions kaum mitspielen und sich gegen ihn verbünden.

Stattdessen hat man ein Jahr für die Industrie verschwendet und hat praktisch alle anderen gegen sich aufgebracht. Und wahrscheinlich mehrere Gelegenheiten verstreichen lassen: zum einen den optimalen Zeitpunkt für einen Ukrainischen Gegenschlag und strategisch die Möglichkeit, die Sicherheitslandschaft der Welt nachhaltig zu ändern ohne dafür das Leben der eigene Soldaten opfern zu müssen. Wenn einem die Ukrainer schon den Gefallen tun dafür zu sterben um einen Despoten zu stoppen dann ist es doch unsere Pflicht ihnen mit allen Mitteln dabei zur Seite zu stehen, selbst wenn man selbst nicht direkt involviert werden will.

Man darf nicht nur für eine Minute vergessen wer hier der Aggressor ist: Putin hat jeden Tag die Möglichkeit seine Truppen zurückzuziehen wie er das mit der Nordarmee um Kiew herum getan hat und damit wäre der Krieg vorbei. Die Ukraine hat diese Möglichkeit eben nicht, niemand will sich wirklich ausmalen was passieren würde wenn sich die Ukrainische Armee auflöst und ihre Waffen niederlegen würde.

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