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Strategische Bomben-Propaganda

Das interessante an der Persönlichkeitstheorie ist das INTJ und INTP zwar auf dem Papier völlig entgegengesetzte Funktionen haben, in der Praxis aber gar nicht so weit voneinander entfernt sind weil sie die Funktionen wie Introverted bzw. Extroverted Intuition und Thinking fast in demselben Maße benutzen mit nur leichten Präferenzen für die eine bzw. andere Seite. Jedenfalls fällt mir das auf dass ich ziemlich INTP-ig bin wenn ich jetzt nicht gerade im Stress bin.

Und so bin ich mal wieder einer Brotkrumenspur gefolgt die am Ende eine Propagandalüge aufgedeckt hat die mit den aktuellen Ereignissen im Krieg in der Ukraine sich immer noch hartnäckig hält.

Der Ausgangspunkt war dieses höchst interessante Video über die Geschichte der analogen Computer:

Ja, wenn es um mathematische Berechnungen geht kann man diese prima auch mechanisch durchführen, wobei mich die Lösungen wie die Kugel-Integratoren schon weggehauen haben. Vom Kanal Battleship New Jersey wusste ich auch um die Zielrechner für die Geschütze - ebenfalls analog. Und dann kommen wir zu der Personifizierung der Lüge, dem Norden-Bombenzielgerät:

Und dieser mechanische Computer ist wirklich die Verkörperung alles schlechten was die Menschheit so vervorgebracht hat - und damit meine ich nicht dass damit Bomben abgeworfen werden sollen. Punkt eins wäre, dass es eigentlich nur das zweitbeste Produkt war, das Konkurrenzprodukt war tatsächlich besser, aber mit Hilfe von Propaganda und Beziehungen konnte die Firma ihr Produkt als Standard in den US-Bomberflotten etablieren. Dann der immer wieder wiederholte Mythos, dass man damit eine Bombe in ein Faß Heringe werfen könnte - die Genauigkeit war alles andere als das, aber dazu später mehr. Dann der ebenfalls von der Firma verbreitete Mythos, dass es sich um ein streng geheimes Spitzenprodukt handelt - es musste vor jedem Flug von der Besatzung aus einem speziellen Bunker abgeholt und unter Bewachung zum Flugzeug gebracht werden und der Bombenschütze musste schwören zuerst das Gerät zu zerstören bevor er sich rettet damit es dem Feind nicht in die Hände fällt.

Die Realität war, dass die Deutschen schon vor dem Krieg die Pläne hatten und nicht so sonderlich davon begeistert waren, genauso die Briten. Man hat diesen erst 1943 den Zugriff auf die Geräte erlaubt und die waren auch alles andere als begeistert.

Und dabei ging es um sehr, sehr viel Geld - alleine diese Geräte haben ein Vielfaches von dem gekostet was das Manhattan-Projekt verschlungen hat. Das ist aber Teil eines viel größeren Mythos, der meiner Meinung nach 1937 geboren wurde als die Legion Condor die spanische Stadt Guernica bombardiert hat. Es geht um den Mythos der strategischen Bombardierung - und er hält sich bis heute wenn die Russen die ukrainische Infrastruktur angreifen.

Wir reden hier jetzt nicht über Tiefflieger und Close Air Support - das ist geprüftermaßen verheerend. Wenn mein Großvater nicht viel Glück gehabt hätte, wäre ich jetzt nicht hier. Er war in den letzten Kriegsjahren GvH geschrieben und in Straßburg in der Garnison. Und auf dem Rückweg von seinem Mädchen (meine Großmutter) in der Stadt wurde er von Tieffliegern angegriffen. Es muss wohl so gewesen sein wie im Film, wenn die Geschosse paarweise in der Straße einschlagen. Jedenfalls konnte er gerade noch im Straßengraben in Deckung gehen.

Wenn man aber mit großen Bombern ein strategisches Ziel angreifen will, muss man das aus großer Höhe machen weil die Luftabwehr etwas dagegen hat. Und die Herausforderung ist jetzt, die Bombe am richtigen Punkt auszuklinken damit sie unter Berücksichtigung der Fluggeschwindigkeit und der Abdrift durch den Wind und der Höhe auch dahin trifft wo sie soll.

Und das Zielgerät hat das schon ziemlich clever gelöst und unter perfekten Bedingungen und nicht allzu großer Höhe klappte das auch - daher kommt wohl der Mythos dass man damit ein Faß Heringe treffen kann. Aber die Realität eines Krieges ist nun einmal anders.

Der erste Fall der mir einfällt war Dünkirchen. Hitler hat ja die Bodentruppen anhalten lassen weil er Angst um seine Flanken hatte - und Göring hat versprochen dass die Luftwaffe die Briten vernichtet. Nur das das nicht funktioniert hat. Später haben ja die Amerikaner mit Tagangriffen versucht die deutsche Industrie zu zerstören - und das hat auch nicht so wirklich funktioniert. Wenn heutzutage eine alte Fliegerbombe entschärft wird, dann wird ja teilweise ein kilometergroßes Gebiet evakuiert. Das entspricht aber nur der maximalen Entfernung in der die Splitter theoretisch fliegen könnten. Um ein Punktziel zu zerstören muss man aber es entweder direkt treffen oder ein paar Meter daneben. Eine Brücke fällt nicht zusammen wenn die Bombe im Bach daneben explodiert.

Und dafür müssen mehrere Faktoren zusammenfallen, begonnen schon damit das Ziel überhaupt richtig zu identifizieren. Es soll ja schon vorgekommen sein, dass Nürnberg bombardiert werden sollte und Prag getroffen wurde. Unter Kriegsbedingungen hat das Gerät nicht besser getroffen als Versuch und Irrtum - nur 10% in einem 300-Meter-Radius. Die Briten haben es deshalb erst gar nicht versucht und haben nachts die deutschen Städte zerstört, ein so großes Ziel ist ja nicht zu verfehlen wenn es erst mal brennt. Das galt für beide Seiten, es gibt bei dem Film über Wernher von Braun die Szene wo er sich bei den Testflügen der V2 auf die Zielkoordinaten stellt: "nach unseren bisherigen Ergebnissen ist es dort sicherer als irgendwo sonst".

Nur dass man sich damit eingestehen muss, dass man hier keinen gezielten Schlag gegen ein militärisches Objekt führt sondern eine unterschiedslose Bombardierung der Zivibevölkerung - und das ist ein Kriegsverbrechen, abgesehen davon dass dieser Terror nicht funktioniert und den Willen der Bevölkerung nicht gebrochen hat. Weil das aber schlechte PR ist hält man am Mythos der Zielgenauigkeit fest, es gibt einen Hollywoodfilm über eine Bomberbesatzung und da wird im Briefing darauf hingewiesen dass die Fabrik neben einer Schule sei und man aufpassen soll *Hust* - üblere Propaganda gibt es gar nicht. In Japan hat man sich erst gar nicht die Mühe gemacht und gleich mit Brandbomben und Flächenbombardements auf die Städte gearbeitet.

Und wenn man sich anschaut was die Luftwaffen aller Kriegsnationen gekostet haben - an Mensch und Material - dann wollte sich keiner der Beteiligten eingestehen dass es mehr oder weniger sinnlos oder zumindest die eigenen Opfer nicht wert war. Klar, wenn man genügend Bomben über einer Gegend abwirft wird man schon einiges zerstören - zum Beispiel das Testgelände in Peenemünde - aber am Beispiel der Leunawerke sieht man, dass selbst das nicht den gewünschten Effekt bringt.

Ein Objekt muss ja nicht nur zerstört werden, es muss auch zerstört bleiben. Und nach dem ersten Angriff mit ein paar hundert Opfern haben die Deutschen gelernt, das Personal in Sicherheit gebracht und nach dem Angriff wieder repariert. Natürlich wurde nicht mehr die volle Produktionskapazität erreicht, aber trotz wiederkehrender Angriffe waren es zwischen 30 und 50%. Und die Ukrainer machen das mit den Elektrizitätswerken genauso - und arbeiten genauso die die Deutschen 1943-45 daran diese unter die Erde zu bringen.

Nein, kein Luftwaffengeneral egal welcher Nation wird zugeben dass das was er macht nicht funktioniert, damit würde man sich ja selbst obsolet machen. Wobei ich zur Vollständigkeit halber noch erwähne, dass die Spezialstaffel der Briten mit ihren Tallboys und Grand Slams es besser hinbekommen haben. Die Trefferquote mag zwar immer noch nicht überragend gewesen sein, aber zumindest mindestens einer der Staffel hat getroffen und bei diesen Bomben hat das auch gereicht. Und die Liste der zerstörten Ziele ist lang, von den U-Boot-Bunkern zu den Talsperren zur Tirpitz oder den V2-Bunkern.

Und ganz pervers wird es wenn wir dann die Entwicklung ab 1945 sehen - genau: die Atombombe. Als ich das Video über das Bombenzielgerät gesehen habe ist mir eingefallen dass da was war und genau: 1946 wurde die Operation Crossroads durchgeführt, ein richtiger Test mit den neuen Waffen im Bikini-Atoll. Jeder der etwas über Atomtests gelesen hat wird wahrscheinlich das Foto vom Baker-Test kennen mit der riesigen Wassersäule. Aber Baker beginnt mit "B" und das kommt nach "A". Während Baker ein Unterwassertest war, bei dem die Bombe in einer Kiste versenkt wurde, war Able ein Luftabwurf. Mit dem Bombenzielgerät natürlich. Dazu hatte man die USS Nevada als Zielpunkt der Flotte in einem leuchtenden Orange gestrichen und ein Großteil der Weltjahresproduktion an Film sollte die Explosion aufnehmen.

Und was ist passiert? Genau, das was mit normalen Bomben auch passiert ist: man hat 700 Meter danebengeworfen, ganz am Rand des Bildausschnittes der Kameras und der Zielflotte. Die Nevada schwamm fröhlich weiter und das sagt schon was - dass die strategische Bombardierung so schlecht ist, dass man das Ziel selbst mit einer Atombombe nicht zerstören kann. Und das war ja nicht der erste Fehlwurf: In Nagasaki hat man das Ziel um glatte zwei Meilen verfehlt was zehntausenden Menschen das Leben gerettet hat. Nur in Hiroshima hat man wohl ziemlich genau den Zielpunkt - die Brücke in Stadtmitte - getroffen, das aber bei besten Bedingungen: keine Wolke am Himmel, Windstille, keine Luftabwehr.

Also 66% Fehlwurfquote mit Atombomben. Da kann man sich wirklich fragen ob die schnelle Entwicklung der Wasserstoffbomben mit tausendfach höherer Sprengkraft als der Fissionsbomben nicht einfach der Tatsache geschuldet war dass man wenigstens damit sicher sein konnte sein Ziel auch zu zerstören, sonst wären die Milliardenausgaben für das Strategic Air Command schließlich mehr oder weniger für die Katz gewesen. Und selbst damit - wieder ein Luftabwurf - Redwing Cherokee 1956 mit 3,8 Megatonnen ging ganze vier Meilen daneben. Ich gehe gerade mal die Tests der Reihe nach durch und die Präzision war durchwachsen, immer wieder hat man den Zielpunkt verfehlt - wenn man es denn öffentlich zugegeben hat.

Wenn man sich anschaut wann denn die Luftwaffen überhaupt realistisch in der Lage waren Punktziele zu zerstören muss man erstaunlich lange warten. Bei den Raketentruppen war es wohl die Lance-Kurzstreckenrakete mit 250 Meter Treffgenauigkeit 1974. Nicht überragend, aber zumindest ausreichend für Kilotonnen-Nuklearwaffen. Die Peacekeeper ICBM von 1986 haben dann 100 Meter erreicht, genauso wie die Minuteman II - was ja auch ein Faktor bei dem Nato-Doppelbeschluss war.

Das reicht aber immer noch nicht um ein Punktziel konventionell zu zerstören. Es gibt die legendäre Geschichte um die Thanh-Hóa Brücke 1972 im Vietnamkrieg. Kurzform: Obwohl die US Air Force diese Brücke quasi dauerbombardiert hat blieb sie hartnäckig stehen. Die Story über die Entwicklung der Paveway-Bomben ist krass zu lesen: man hat mit minimalem Budget und großer Eile ein Laserzielsystem entwickelt und das hat dann endlich funktioniert. Damit wurden die Pfeiler der Brücke direkt getroffen.

Und seitdem hat die NATO die Fähigkeit Punktziele zu zerstören. Es ist schon beeindruckend wenn man die Krater der HIMARS-Raketen auf der Antonwskibrücke gesehen hat - nur ein paar Meter auseinander.

Und Rußlands Arsenal an vergleichbar präzisen Waffen ist entweder sehr klein oder gar nicht vorhanden. Zum Terror taugt es, aber für wirkliche strategische Erfolge wohl nicht was ja wohl dafür spricht das wer auch immer das Putin vorgeschlagen hat noch immer an den Mythos der Wirksamkeit strategischer Bombardierung glaubt.

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