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Demokratie ist nur marginal besser als Diktatur

Es ist ja schon lustig, aber vielleicht werde ich ja demnächst vom Verfassungsschutz beobachtet weil ich hier Aufsätze schreibe die sich klar gegen die derzeitige Demokratie und damit die verfassungsgemäße Ordnung richten. Und wenn das publik wird, liest diese vielleicht sogar jemand.

Um es klar vorweg zu sagen: In der Regel ist eine Demokratie schon besser für die Menschen als eine Diktatur oder Autokratie. Dort werden von wenigen Menschen Entscheidungen getroffen, die ebenfalls nur einigen wenigen einen Vorteil bringen. Und eine Gewaltenteilung gibt es nicht.

Der große Vorteil einer funktionierenden Demokratie und die eigentlich wichtige Errungenschaft sind deshalb die Gewaltenteilung, die in einer Verfassung verankert ist. Das kann es übrigens auch ohne Wahlen geben, in England gab es dieses System schon sehr lange als der König sich die Macht mit der Aristokratie teilen musste und deshalb stand England immer besser da als Frankreich wo es ja bekanntlich den Absolutismus gab, der alle Macht in der Person des Königs konzentrierte.

Wenn die Regierung also gezwungen ist sich an die Verfassung zu halten und jedem Bürger der Rechtsweg offensteht um damit Entscheidungen "von oben" anzufechten dann ist das definitiv ein Fortschritt.

Aber bezüglich der Herausforderung, die "richtigen" Entscheidungen zu treffen die A) Utilitaristisch die langfristig besten für die Menschheit sind und B) die Rechte von Minderheiten nicht beschränken ... eher weniger.

A) würde ja in einer idealen Welt funktionieren: indem alle Menschen abstimmen, bekommt automatisch der Vorschlag die meisten Stimmen der für die meisten Menschen der Beste ist. Aber in der Realität funktioniert das überhaupt nicht, was mit menschlicher Psychologie zu tun hat. Sehr viele Menschen bekommen es ja erwiesenermaßen nicht hin, für sich selbst die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel ist Drogenkonsum völlig nüchtern (sic!) betrachtet langfristig immer schlecht. Aber wie viele Menschen konsumieren weder Alkohol, noch Zigaretten noch Schmerz- und Schlafmittel um nur die häufigsten zu nennen?

Wenn die Welt zu 75% aus Sensortypen besteht, die von ihrer Denkstruktur schon kurzfristig denken, dann kann es einfach nicht funktionieren. Und auf die Wahlen bezogen: das Idealbeispiel ist der Aufstieg und Fall des Martin Schultz 2017/2018. Er trat vom Europaparlament kommend auf die Bildfläche, überholte Merkel zuerst in den Umfragen deutlich um dann zehn Monate später bei der Bundestagswahl vollkommen abzustürzen. So extreme Schwankungen können niemals mit langfristigem Entscheidungsdenken vereinbar sein.

Und B) ... das hängt einzig an der oben genannten Verfassung und Gewaltenteilung. Es wäre - die richtige Propaganda vorausgesetzt - für Hitler wahrscheinlich recht einfach gewesen, die Enteignung und Vertreibung der Juden demokratisch zu legitimieren. Wenn man verspricht das jeder von den eingezogenen Vermögenswerten profitiert dann dürfte es nicht allzu schwer sein, dafür die nötigen 51% zusammenzubekommen beziehungsweise im Reichstag eine Mehrheit dafür zu bekommen.

Und das ist der zweite Elefant im Raum: Es ist ja keine direkte Demokratie, sondern eine Parteiendemokratie. Der Bürger stimmt ja nicht über die Sachfragen ab, sondern wählt eine Partei und ein von deren Vertretern zusammengesetztes Parlament. Und das hat dann mit der Bürgermeinung überhaupt nichts mehr zu tun. Das krasseste Beispiel war wohl die Europawahl 2019: Manfred Weber wurde bundesweit als Spitzendandidat für die Europawahl plakatiert, damit wurde dem Wähler suggeriert dass bei einem Wahlerfolg der Konservativen Weber Kommissionsvorsitzender werden würde. Den Wahlerfolg hat es gegeben, aber Präsidentin wurde van der Leyen die vorher nie auf einem Wahlplakat zu finden war. Hat das irgendwas mit Wählerwillen zu tun?

Und es braucht auch nicht viel Vorstellungskraft dass bei Mehrparteienkoalitionen in der Regel etwas völlig anderes herauskommt als sich der Wähler vorgestellt hat. Hier in Rheinland-Pfalz bekommt die CDU schon seit Jahrzehnten die Mehrheit der Stimmen, kann aber nicht regieren. Und wie oft gab es im Vorfeld Wahlversprechen, die dann nach der Wahl sofort eingestampft wurden? 2007 wollte die Union eine Erhöhung auf 18 Prozent, die SPD keine Erhöhungen und als sie sich geeinigt hatten - kam eine Erhöhung auf 19 Prozent. Wählerwillen?

Jetzt könnte man dem entgegenhalten, dass die Parlamentarier und Parteien ja eigentlich nur dieses oben genannte Defizit der Demokratie kompensieren würden, dass sie eben die "richtigen" Entscheidungen treffen auch wenn die Wähler anders entschieden haben. Manchmal funktioniert das sogar, wie aktuell in Frankreich. Ich glaube Macron dass die Rente einfach nicht mehr zu halten ist wenn man das Eintrittsalter bei 62 Jahren lässt. Deutschland ist ja demografisch ähnlich stukturiert und wir sind inzwischen bei 67. Und er versucht diese Entscheidung zumindest durchzuziehen, gegen den Protest aller.

Aber normalerweise passiert eher das Gegenteil. Mein Lieblingsthema ist ja die Atomenergie und der Unfall von Fukushima 2011. Angela Merkel kam an die Macht mit dem Ziel, den von der Regierung Schröder beschlossenen Atomausstieg wieder rückgängig zu machen und hat das auch so beschlossen. Dann kam ein Erdbeben und ein Tsunami und sie hatte nichts eiligeres zu tun als ihre eigene Entscheidung umzuwerfen und das zu machen von dem sie glaubte dass es ihre Macht stützen würde. Langfristig hat sich überhaupt nichts verändert und wenn man das Thema streng wissenschaftlich betrachtet dann hat diese Entscheidung zehntausenden Menschen das Leben gekostet. Die Studien sind eindeutig: Atomenergie hat in all den Jahrzehnten maximal 200.000 Menschen das Leben gekostet, Luftverschmutzung hingegen fordert Millionen Todesopfer - jedes Jahr. In etwa jeder vierte der an Herz- oder Lungenkrankheiten stirbt tut dies in Folge von Luftverschmutzung.

Und wofür? Das ist ja eine völlige Perversierung der Macht. Merkel hat so entschieden um in der Wählergunst bleiben zu können um damit an der Macht zu bleiben. Aber was ist das für eine Macht wenn man gezwungen ist das Falsche zu machen um an dieser Macht zu bleiben? Das ist doch nur eine Illusion von Macht. Macht sollte dazu dienen, eben das Richtige zu machen und in diesem Fall muss es Merkel - falls sie denn langfristig denkt - doch klar gewesen sein dass es eine falsche Entscheidung ist.

Der einzige Schluss kann doch nur sein, dass die Demokratie durch etwas besseres abgelöst werden muss. Die Liste der Gegenbeispiele lässt sich quasi endlos fortführen.

Die schnell beschlossene Gaszulage war so ein Beispiel, genau wie das 9-Euro-Ticket. Kurzfristige Maßnahmen die die Stimmung verbessern aber langfristig genau null Wirkung haben.

Russland wählt zumindest theoretisch den Präsidenten. Praktisch braucht sich Putin auch gar nicht damit aufzuhalten die Wahlen großartig zu fälschen, denn seine Zustimmungswerte sind aktuell bei 80% und das Meinungsforschungsinstitut ist zumindest im Moment noch unabhängig. Das ist ein super Beispiel für alle Defizite der Demokratie: das Ziel des Überfalls auf die Ukraine ist ja wohl sich selbst zu bereichern und sich die Ukraine mitsamt ihren (Boden-)Schätzen einzuverleiben. Und die Ukrainer konnten ja noch nicht einmal gegen Putin stimmen. Und selbst wenn man die Diktatur des Stärkeren mal hinnimmt: es ist langfristig noch nicht einmal die "richtige" Entscheidung: die Gewinne wiegen niemals die Kosten auf. All das zerstörte Material, dann die Ausfälle durch die zusammengebrochenen Exportgewinne, und noch viel schlimmer: all die Gefallenen. Das sind hunderttausende junge Menschen die in einer überalterten Gesellschaft dringend gebraucht würden und deren Arbeitskraft für immer fehlen wird. So sieht in etwa eine Demokratie ohne Gewaltenteilung aus: ein Führer der mit großer Mehrheit gewählt wird, aber eben Entscheidungen trifft die gegen internationale Verträge und die Menschenrechte verstößt und dafür aber nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.

Singapur ist hingegen ein interessantes Beispiel. Es ist nur auf dem Papier eine Demokratie, die PAP regiert praktisch ununterbrochen und die Präsidentschaftswahlen fallen aus weil es nur einen zulässigen Kandidaten gibt. Und trotzdem - niemand könnte behaupten Singapur sei schlecht regiert (was in Russland unzweifelhaft der Fall ist). Es gibt natürlich einiges an Verbesserungsbedarf und es ist wirklich nicht in Ordnung wenn man drakonisch bestraft wird nur weil man sich mit einem Protestplakat in die U-Bahn stellt. Aber im großen und ganzen funktioniert es.

Was also tun? In Deutschland ist ja anscheinend sogar verboten darüber nachzudenken, weil das ja gegen die Verfassung verstößt. Es wird auf jeden Fall sehr kompliziert weil man dafür verschiedene Aspekte unter einen Hut bringen muss die das nur schwer zulassen - wie der oben beschriebene Fall dass die Bürger auf die Straße gehen für Entscheidungen die langfristig falsch sind.

Klar wird aus den obigen Beispielen, dass es eine Verfassung und Gewaltenteilung geben muss, die sicherstellt dass der große ethische Nachteil des Utilitarismus - die Diktatur der Mehrheit - eingedämmt wird. Wie schon in einem anderen Artikel beschrieben wäre es utilitaristisch in Ordnung alle Rentner umzubringen wenn sie für die Gesellschaft nichts mehr leisten könnten. Wobei: die Gesellschaft könnte wirklich davon profitieren wenn die Rentner sich dann ehrenamtlich engagieren oder anderweitig nützlich machen anstelle zu Hause auf dem Sofa zu sitzen oder spazieren zu gehen. Mein Vater hilft mir selbst mit 74 noch Küchen zu montieren.

Überlegen wir mal Top-Down: Wir haben also eine Regierung die dazu verpflichtet ist der Verfassung zu folgen und die langfristig optimalen Entscheidungen zu treffen. Und die Legitimität erhält sie eben dadurch dass es die besten Menschen für diese Aufgabe sind. Man braucht dazu jedenfalls ein möglichst breites Wissen und gleichzeitig den Willen für die jeweilige Entscheidung die Meinung verschiedener Spezialisten hinzuzuziehen. Also genau das Gegenteil der "Dictators trap" wo man - so man denn überhaupt auf andere hört - sich nur mit denen umgibt die einem sagen was man hören will.

So eine Regierung zusammenzustellen wäre also machbar und das schöne dabei: wenn diese Menschen der möglichst objektiven Beurteilung der Fakten verpflichtet sind kommt immer praktisch dasselbe heraus, egal welche Menschen nun konkret zu dem Ergebnis kommen. Es wird von Personalien unabhängig! Der eigentliche gordische Knoten liegt darin dass die Menschen die von den Entscheidungen betroffen sind schnell dagegen protestieren wenn es kurzfristig für sie Nachteile bringt. Und solange die Menschheit aus 75% Sensortypen besteht und zu einem großen Teil aus leicht beeinflussbaren Menschen und genauso vielen schlecht informierten Menschen - wird es diese Proteste geben. Die man wegen Menschenrechten und Verfassung auch nicht unterdrücken kann.

Viel fällt mir dazu nicht ein - außer dass man zumindest an zwei dieser drei Punkte arbeiten kann (der dritte ist wahrscheinlich genetisch bedingt) wenn man die Menschen entweder besser informiert oder massiv beeinflusst. Und ich hatte das ja schon mal als Titel: "Warum Propaganda das einzig moralisch richtige sein könnte".

Als runder Abschluss passt wieder die Atomkraft: würde jeder wissen, was genau in Tschernobyl passiert ist, welche Umstände in der Sowjetunion zwingend erforderlich waren um den Unfall überhaupt zu ermöglichen, was genau dazu geführt hat dass es in Fukushima zum Unfall gekommen ist und in Onagawa nicht, welche Vor- und Nachteile die alternativen Energieträger haben - dann würden sich die Proteste in Grenzen halten.

Und als kleines Bonbon am Schluss noch zu zwei der häufigsten Gegenargumente: "bei einem Unfall werden große Landstriche unbewohnbar" und "aber der Müll in XX tausend Jahren": Warum denken so viele Menschen immer noch von Land à la 'Lebensraum'? Das scheint mir immer noch ein Grund für die Zustimmung der Russen zu Putins Krieg zu sein: dass ein paar Quadratkilometer Donbass das Leben von so vielen Menschen wert ist. Niemand denkt wohl daran, dass die Sperrzone in Tschernobyl zu einem Großteil in den Pripyat-Sümpfen liegt wo kaum jemand leben würde selbst wenn diese nicht verseucht wäre. Die Stadt Pripyat musste erst gebaut werden damit man die Arbeiter für das Kraftwerk hatte. Mein Großvater hat auch noch so gedacht und hat immer noch den deutschen Ostgebieten nachgeweint. Aber mal ehrlich: selbst wenn man es Deutschland schenken würde, wer würde Kaliningrad denn haben wollen wenn das bedeutet nochmal für 30 Jahre den Soli zahlen zu müssen? In Japan hat Hokkaido als nördlichste der vier großen Inseln das große Problem, dass die Menschen tendentiell dort einfach nicht leben möchten. So gedrängt es in Tokyo ist, so leer ist diese Insel.

Und das tausend-Jahre-Problem ist sehr selektiv: bei Atommüll wird das dauernd herausgestellt, bei hochgiftigen Chemieabfällen nimmt man das schulterzuckend hin. Siehe die Dhünnaue die ihr giftiges Sickerwasser nur so lange nicht in den Rhein abgibt wie die Pumpen laufen. Und niemand fordert, das Ding endlich auszubaggern und richtig zu entsorgen. Und selbst wenn die Pyramiden voll mit gelben Giftmüllfässern wären - würde uns das jucken? Entweder lässt man sie drin oder man steckt die Dinger in die Sondermüll-Verbrennungsanlage. Und je nachdem um welche Stoffe es sich handelt wären wir unter Umständen sogar froh um einen unterwarteten Schatz, zum Beispiel Tonnen von Kupfervitriol wären damals als Gift verbuddelt worden, heute hingegen würden sich die Leute darum reißen. Das Argument funktioniert nur dann wenn man davon ausgeht dass die Menschheit sich zu ungebildeten Wilden zurückentwickelt die mit dem Zeug vollkommen überfordert wären, eine sehr komische Zukunftseinstellung.

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