Der Anstand ist abgewählt
Ich gehöre zu den vielen Menschen für die die Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident eine herbe Enttäuschung ist. Da ich als INTJ auch noch den ganzen Rattenschwanz sehe der noch hintendran hängt und die weitreichenden globalen Folgen ist alles noch viel schlimmer und überlege mir gerade ob ich mich in irgendeinem kleinen Loch verstecken, betrinken oder gleich umbringen soll.
Die Folgen sind nämlich klar: unsere Zivilisation wie wir sie kennen ist dem Untergang geweiht und der kommt jetzt sogar eher noch früher als später.
Die Mehrheit der US-Amerikaner - und so wie es aussieht, sogar die erste "echte" Mehrheit seit Reagan für einen Republikaner! - haben für einen Kandidaten gestimmt der die Frauen im Dutzend begrapscht und anschließend diffamiert hat, in 34 Fällen Bilanzunterlagen gefälscht hat, zum Putsch aufgerufen hat, geheime Dokumente zuerst illegalerweise mitgenommen und dann vor Fremden damit geprahlt hat, auf programmatische Fragen nur unzusammenhängenden Wortsalat von sich gegeben hat, was entzifferbar war (wie die Zollgeschichte) wirtschaftpolitischer Selbstmord ist, mehrfach pleite gegangen ist und dessen dokumentierte Zahl der Lügen auf die 10.000 zumarschiert. Und schon angekündigt hat: ihr braucht nur noch einmal zu wählen, danach ist es nicht mehr nötig. Da muss man sich echt fragen wie so etwas sein kann. Vor allem wenn die Maßnahmen die er in seiner ersten Amtszeit tatsächlich durchgesetzt hat vor allem den Reichen zugutekamen. Hier hat also tatsächlich die Kuh den Metzger gewählt, denn die Wählerschaft Trumps ist vor allem außerhalb der Städte unter den weniger wohlhabenden zu finden.
Damit ist klar, dass diese Wahl ganz sicher keine rationale Entscheidung in Bezug auf das Programm der Kandidaten war. Es war eine rein emotionale Persönlichkeitswahl. Und was damit auch klar ist: ein ganz klares Votum gegen den Anstand, auf englisch: decency. Und das ist ja nicht nur in den USA so, die Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen folgten ja einem ähnlichen Muster. Demokratie ist eben keine Herrschaft der Mehrheit, sondern diese Herrschaft ist eben mit der Verpflichtung verbunden, die Rechte der Minderheit zu achten, sie eben anständig zu behandeln. Deshalb stehen ja unter anderem die Menschenrechte in den Verfassungen drin. Der Liberalismus ist ja der Freiheit jedes Einzelnen verpflichtet, gegenseitiger Toleranz - und das unabhängig davon ob mir die Meinung des anderen passt oder nicht. Und jetzt wurde ein Mann gewählt der schon im Vorfeld angekündigt hat ein Diktator zu sein und die Staatsgewalt gegen die "Feinde im Innern" einzusetzen. Und wenn seine Reden eine Aussage haben - Respekt vor dem politischen Gegner gehört ganz sicher nicht dazu.
Und wenn sich klare Verstöße gegen Recht und Ordnung auch nicht negativ im Stimmverhalten ausgewirkt haben, dann ist ganz klar die Botschaft des Wählers: es ist OK wenn man macht was einem passt, legal oder illegal, solange man nicht dabei erwischt wird und der Strafe irgendwann nicht mehr ausweichen kann. Hier zeigt sich in aller brutalen Deutlichkeit dass die Wähler diese Freiheit ihren eigenen Willen ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen eben auch gerne für sich hätten. Und im Umkehrschluss auch dass man sich eben nicht mehr die Mühe machen muss, anständig zu sein, dass ungebremster Egoismus eine positive Sache ist die Stärke zeigt.
Und ja, für den Otto-(Joe-) Normalbürger ist da ja alles nicht schlimm, die Bevölkerungsgruppe lebt ja auch in einer Diktatur ganz gut. Das kann man in Echtzeit in Russland verfolgen wo Putin es nach dem desaströsen ersten Versuch mit allen Mitteln verhindert eine zweite Zwangsmobilisierungswelle zu machen. Die würde eben die russischen Normalbürger treffen und das ist die einzige Gruppe die die Macht hätte ihn zu stürzen. Genauso wie Hitler sehr, sehr lange dafür gesorgt hat dass man an der Heimatfront vom Krieg möglichst nichts in Form von negativen Folgen mitbekommt. Aber für alle die, die eine eigene, und noch schlimmer: abweichende Meinung haben ... die haben halt Pech gehabt.
Die Parallelen zu Deutschland 1933-35 sind nicht zu übersehen, sondern zumindest für mich erschreckend offensichtlich.
Statt "Mein Kampf" heißt das Buch wo alles schon vorher drinsteht "Projekt 2025". Da steht unter anderem drin was man 1933 als "Gleichschaltung" bezeichnet hat: alle Bundesbehörden von subversiven Elementen zu säubern und mit vorher vorbereitetem, kadergetreuem Personal zu besetzen. Den schlecht gemachten Putschversuch hatten wir auch schon, nur dass noch nicht mal der Versuch gemacht wurde, Trump zumindest symbolisch in Festungshaft zu nehmen. Ein wichtiger Unterschied ist auch dass das Ermächtigungsgesetz nicht nach dem Amtsantritt des Diktators verabschiedet wurde sondern in dem Fall durch den Supreme Court schon vorher dem Präsidenten diktatorische Vollmachten in die Hand gedrückt wurden solange er "offiziell" handelt. Die Frage die sich jetzt zwangsläufig stellt: wie lange dauert es bis zu den ersten politischen Morden und Säuberungen? Wenn man die Zeitleiste gegeneinanderhält wäre es etwas mehr als ein Jahr, von Januar 1933 bis Juli 1934. Das Einzige was man den USA zugutehalten kann: die Entscheidungen des Supreme Courts haben in den letzten Jahren vor allem die Rechte der Bundesstaaten gestärkt - opportunistisch solange in Washington die Demokraten das Sagen hatten. Und das könnte eine Bastion sein die die Demokratie zumindest in den "blauen" Bundesstaaten verteidigen kann - sang- und klanglos wie die Gleichschaltung der Länder 1933 wird das sicherlich nicht passieren.
Diese Abstimmung gegen den Anstand ist aber auch etwas was sich ganz allgemein in der Bevölkerung finden lässt, überall, zum Beispiel bei der Arbeitsmoral. Man schaue zum Beispiel auf den Krankenstand, der in Deutschland trotz immer besserem Arbeitsschutz Rekordhöhen erreicht. Wenn man ehrlich, anständig ist dann erscheint man auch auf seiner Arbeitsstelle, schon aus einer moralischen Verpflichtung seiner Firma, seinem Chef und seinen Kollegen gegenüber. Wenn diese Werte aber ungewollt sind und man was anderes tun will ... es ist ja nicht sonderlich schwer sich krankschreiben zu lassen. Dasselbe gilt für die Arbeitsqualität, sowohl von Mitarbeitern als auch in der Folge davon von Firmen an sich: macht man die Arbeit nur weil man am Ende Geld dafür bekommt? Oder macht man seine Arbeit weil man sich moralisch damit identifziert und sein Bestes geben will? Der Trend geht ja wohl in die Richtung dass die Produkte nur so lange halten bis der Verkäufer das Geld hat und die Garantie abgelaufen ist. Und auch nur gerade so gut genug sind damit es nicht reklamiert wird. Ich habe schon viel zu viel Arbeit gesehen die nach diesem Grundsatz abgeliefert wurde.
Wie widersinnig das alles ist zeigt sich ja in der "trickle-down" - Lüge, die die wirtschaftspolitische Linie des Trumpismus gut darstellt: wenn die Reichen, die Unternehmen noch reicher werden, dann wird von diesem zusätzlichen Reichtum auch etwas bei den Angestellten ankommen, es tropft sozusagen nach unten. Tja, würde es auch, wenn diese Reichen Menschen anständig wären und eine soziale Verpflichtung ihren Mitarbeitern gegenüber spüren würden. Aber was hatten wir eben über den Anstand gesagt? Ach ja, den wollen wir ja in die Tonne treten, der ist ja viel zu lästig. Ups.
Von der psychologischen Seite aus zeigt sich auch wieder fatal, dass es in der Bevölkerung nur 8% Nutzer von Introverted Intuition gibt und davon auch nur die Hälfte rationale. Diese Menschen sehen was langfristig passieren wird, was man jetzt tun muss um irgendwann in der Zukunft das gewünschte Ergebnis zu erhalten. In Bezug auf Wahlen in Demokratien spielt diese Bevölkerungsgruppe praktisch keine Rolle, die Menschen die ihre Situation genau jetzt als Grundlage ihrer Entscheidung nehmen und/oder emotional statt rational abstimmen stellen eine überwältigende Mehrheit.
Das führt zu dem sich regelmäßig wiederholenden politischen Ping-pong: kaum ist eine Partei an der Macht sind die Menschen unzufrieden und wählen die Oppositonspartei, so geht das hin und her ... und deshalb passiert genau das nicht was man eigentlich machen müsste: einmal einen Plan machen wo man in 20, 30 Jahren stehen will, was man dafür machen muss und das dann auch konsequent durchziehen. Und das Gedächtnis ist auch kurz: bei seiner Abwahl war die Zufriedenheit mit Trumps Amtszeit eher bescheiden (kein Wunder, er empfahl ja Injektionen mit Desinfektionsmittel gegen Covid), aber kaum sind vier Jahre vergangen ist es bis auf 48% gestiegen, ein relativ hoher Wert.
Also ist es sowieso schon extrem schwer, Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen, die kosten ja immer Geld (sonst hätte man es ja schon von Anfang an klimaneutral gemacht anstelle fossile Energie anzuzapfen). Wo das hinführt da braucht man nicht mehr viel Fantasie, im Moment braucht man nur nach Spanien zu schauen. Und in Deutschland war die Region um Saarbrücken und mehrfach Bayern betroffen. Das ist wie ein makabres Dartspiel: man wirft einen Dart auf die Landkarte und da gibt es dann massive Überschwemmungen. Die Frage ist nur wann man selbst betroffen ist. Und wenn wir das im globalen Maßstab sehen: die BRICS-Staaten kümmern sich sowieso einen Dreck um die Zukunft und das Allgemeinwohl. Es hätte eine sehr kleine Chance gegeben die Welt zu retten: wenn sich die "westlichen", liberalen Länder fest zusammengeschlossen hätten mit dem Ziel so schnell wie möglich auf Netto-Null zu kommen - egal was es kostet - und dann entweder den Rest dazu gezwungen hätte mitzumachen (z.B. durch die Schaffung einer abgeschotteten Wirtschaftszone) oder so viele negativ-Emissionen gemacht hätte dass man die Sünden der "Bösen" ausgleicht. Beides war schon vorher sehr, sehr unrealistisch. Jetzt, mit dem Ausscheiden der USA ist es völlig unmöglich. Die Frage ist jetzt eigentlich nur wann man auf die Idee kommt mit Schwefelimpfung der Hochatmosphäre einen künstlichen Vulkanischen Winter auszulösen - mit ungeahnten Negativeffekten. Aber das wird kommen. Genauso wie der Meeresspiegel steigen wird und die Küstenlinien sehr stark verändern wird - 80% der Weltbevölkerung wohnt in Küstennähe (!!!). Das wird noch eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Nicht heute oder morgen, aber unausweichlich.
Für Deutschland stellt sich jetzt wirklich die Frage: soll man an dem umweltpolitischen Kurs festhalten? Das ruiniert die Wirtschaft, denn durch die Mehrkosten verliert der Standort einfach die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Vor allem wenn die Produkte "Made in Germany" eben auch den Vorteil verlieren, dass sie eben besonders anständig gemacht waren und man einen echten Mehrwert hatte. Mit dem sich verändernden Arbeitsmarkt und der Gesellschaft wird das aber immer schwieriger. Du kannst die besten Produkte machen wenn sie nicht bei Dir ankommen weil der Paketdienst bei der Zustellung die Präzision amerikanischer Bombenabwürfe hat: auf einen Kilometer mehr oder weniger kommt es nicht drauf an, Hauptsache es gilt als "zugestellt" ... oder so derart lieblos verpackt wurde dass es nur beschädigt ankommt.
Da wird es auf einmal zur durchaus verlockenden Option auf den brennenden Trümmern von Rom die Harfe zu spielen und den Untergang noch so lange zu genießen wie man kann. Das ist ja genau das was gewählt wurde: "Scheiß auf die Zukunft solange es jetzt noch Party gibt".
Ich hatte ja vorhin schon geschrieben dass die Wahl eine einzige Persönlichkeitswahl war. Und mich trifft das besonders hart, denn wer stand zur Wahl: der ESTJ (der zweithäufigste Persönlichkeitstyp unter Männern) und auf der anderen Seite eine ENTJ-Frau. Die sich richtig viel Mühe gegeben hat "nett" zu sein. Und die aus meiner Perspektive eine ideale Kandidatin war, Entschlossen, perspektivisch denkend, sympathisch, anständig. Und deshab bin ich selbst Wizards First Rule zum Opfer gefallen und habe das genaue Gegenteil von dem vorhergesagt / wunschgedacht was tatsächlich passiert ist: ein Erdrutschsieg inklusive Florida und Texas. Ich habe einfach gehofft das meine eigene Weltsicht wahr ist. Aber es hat ganz brutal gezeigt dass es nicht um fachliche Qualifikation (über die objektive Nicht-Qualifikation von Trump brauchen wir nicht zu reden) geht, sondern um Sympathie ... und das die Abneigung der "normalen" Menschen gegen xNTJs so stark ist dass es auf den Inhalt überhaupt nicht darauf ankommt. Scholz (INTJ) ist auch nur deshalb Kanzler geworden weil der Gegenkandidat (Laschet) auch ein INTJ war der sich auch noch besonders dumm angestellt hat. Und wird jetzt folgerichtig politisch zu Boden geprügelt.
"Niemand mag mich" ist dann vielleicht nicht ganz korrekt - unter den Intuitiven mag es welche geben die die xNTJ zumindest tolerieren können - aber für die Mehrheit der Menschen stimmt der Spruch eben dann schon. Was natürlich super Aussichten für mich persönlich und die Beziehungen zu anderen Menschen sind.
Es sind noch ein paar Informationen aufgetaucht die das Bild leicht verschieben. Zum einen hatte ich vergessen dass Hillary ja auch ein INTJ war. Was nochmal unterstreicht dass man als NTJ nur dann Wahlen gewinnen kann wenn es keinen Gegenkandidaten gibt oder der Gegenkandidat auch ein NTJ ist. Oder eben - siehe Russland, Venezuela oder die ganzen anderen "Wahlen" - das Ergebnis schon vorher feststeht. Die Mehrheit der Menschen hasst uns einfach.
Und Punkt zwei: gegenüber 2020 hat man weniger den Anstand abgewählt sondern es war eher die dritte Gruppe, der "scheißegal" ist was passiert: die Stimmen für Trump waren etwa gleich (75 Millionen), aber statt der 80 Millionen für Biden hat Kamala nur 60 Millionen bekommen. 20 Millionen waren also zu bequem und das Ergebnis ihnen nicht wichtig um (noch mal) zur Wahl zu gehen. Das macht gleich in mehrerer Hinsicht Sinn: 60 aus 155 nähert sich dann dem was man psychologisch wegen der Anzahl an Intuitiver erwarten könnte. Noch genauer ist wenn man von der gesamten Zahl der Wahlberechtigten ausgeht. Weil die USA kein Meldesystem haben lässt sich das nicht genau sagen, aber 235 Millionen könnten es sein. Daraus umgerechnet ist das Ergebnis:
- pro Trump (schafft den Anstand ab!): 30%
- pro Kamala (pro Zukunft und gesellschaftliche Werte): 25%
- scheißegal: 45%
Und huch? Auf einmal finden sich tauchen genau die 25% Intuitiven in der Statistik wieder auf. Plus- / Minus ein paar Irrläufer in beiden Lagern. Und wenn man wieder auf das Beispiel zurückkommt was Arbeitsergebnisse anbelangt: 30% liefern Murks ab und sind auch noch stolz drauf, 45% ist es einfach egal was am Ende heraus kommt solange sie geschafft haben und die Kohle bekommen haben und nur 25% geben sich wirklich Mühe, weil sie sich mit dem Ergebnis identifizieren. Das könnte in etwa hinhauen.
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