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Wie ein Typ eine ganze Gesellschaft beeinflusst

Die Vorstellung von Liebe

Eines der Probleme von Jung's Psychologie ist einfach, dass sie sehr tief reicht - auf eine Ebene die nur ganz wenige Menschen per Selbstreflexion erreichen und noch weniger davon bereit sind, dies auch gegenüber anderen preiszugeben. Ich bin aber glücklicherweise mit mehreren in Kontakt mit denen das geht und daraus hat sich eine sehr fundamentale Erkenntnis ergeben.

Der Ausgangspunkt war, dass ein INTP darüber nachgedacht hat dass sich - obwohl am Anfang einer neuen Beziehung - das Gefühl von "Liebe" nicht einstellen würde. Bei weiterem Nachfragen hat sich das auch bei anderen INTP und ISTP bestätigt - Liebe ist jedenfalls nicht das als das es in der Vorstellung der Gesellschaft verankert ist.

Die Verkörperung bedingungsloser, unzerbrechlicher, ewiger Liebe

Aber warum ist das so? Die Antwort lässt sich sehr einfach bei Jung finden: TP-Typen sind Ti-dominant. Und nicht nur das, in letzter Zeit ist mir klar geworden dass bei den Typen die Funktionen auf denen man blind ist genau so wichtig sind wie die dominanten - und das ist dann Fi. Das ist ja auch logisch: wenn die dominante Art die Welt wahrzunehmen eine streng logische ist, dann schließt sich dass mit einer stark emotionalen Wahrnehmung aus. Jung hat ja zuerst Denken, Fühlen, Intuition und Erleben als Spähren identifiziert und dann im zweiten Schritt nach Introversion und Extroversion differenziert. Das bedeutet in einfachen Worten: jemand der Introvertiertes Fühlen dominant ist kann auch Extrovertiertes Fühlen benutzen, die beiden sind verwandt. Aber in dem Fall ist man eben auf Introvertiertem Denken blind. Extrovertiertes Denken geht, weil das sozusagen die Kehrseite der dominanten Funktion ist, es ist auch kein Widerspruch wenn man eine wertebasierte, emotionale Gedankenwelt hat und die damit getroffenen Entscheidungen dann entschlossen durchsetzt.

Aber jetzt kommen wir zu dem zweiten Teil der Erkenntnis: den gesellschaftlichen Glaubenssätzen und woher diese stammen. Beim Fall der Wahrnehmung von "Liebe" ist das nämlich sehr einfach zu sehen. Wenn man auf Fi blind ist, dann stellt sich eben nicht dieses starke Gefühl ein, verbunden mit einer unzerstörbaren Loyalität. Es kann auch nicht und das ist völlig normal. Nur empfinden sich die Betroffenen dann aber als kaputt, weil sie dem Allgemeinbild nicht entsprechen - die Vorstellung kommt aber aus der Medienwelt die uns umgibt - zuerst in den mehr oder weniger sülzigen Liebesromanen und dann deren Adaption in Film und Fernsehen. Und welcher Typ ist am wahrscheinlichsten Autor? Eben INFPs - und die sind Fi-dominant. Aus deren Sicht fühlt sich Liebe wirklich so an, die beschreiben nur das was sie selbst empfinden. Aber damit setzen sie sozusagen den Standard der auf einmal für alle gelten soll.

Ich versuche schon seit längerem herauszufinden warum Jung's Psychologie und seine Ableger wie MBTI in der Gesellschaft so abgelehnt werden. Das sind:

  • Die der Angst durchschaubar zu werden wenn der eigene Typ bekannt ist, dass die innere Gedankenwelt in das harsche Licht der Öffentlichkeit gezogen wird, man diese aber um jeden Preis schützen will
  • Die Angst in ein starres, unveränderliches Korsett (die berühmte "Schublade") gezwängt zu werden und damit seine Individualität zu verlieren
  • Eine klaren Absage an das Ideal der völligen Flexibilität ("jeder kann alles werden wenn er nur will"), die Angst dass durch den Typ die Schwächen unveränderbar festgeschrieben sind und damit vielleicht auch Karrierewege schon qua Geburt festgeschrieben sind

offenbart sich damit ein vierter Punkt:

  • Gesellschaften tendieren dazu, sich geschlossen zu halten. Die Tatsache dass die Menschen die Welt auf völlig unterschiedliche Weise wahrnehmen und nach völlig unterschiedlichen Prinzipien handeln ist extrem subversive Vielfalt die den Zusammenhalt der Gemeinschaft gefährdet

Was ja evolutionär auch Sinn macht, eine starke, geschlossene Gemeinschaft mit identischen Glaubenssätzen hat stärkeren inneren Zusammenhalt und ist damit stärker gegen feindselige Einwirkungen von außen. Wenn sich also aus den Erkenntnissen eines schrulligen Psychologen ergibt dass im Gegenteil es völlig menschlich ist dass es eine diverse Gesellschaft gibt bei denen es Elemente gibt die völlig aus der Reihe tanzen und auch noch die Gesellschaft als solches hinterfragen, dann ist es nur eine natürliche Folge dass man seine Bücher verbrennt oder in der heutigen Zeit einfach als "Pseudowissenschaft" bezeichnet und in die hinterste Ecke der Biblikothek verbannt wo es niemand finden möge.

Mittlerweile haben sich die Gesellschaften diversifiziert - und damit auch geschwächt - gegenüber einer Zeit wo es eine Art Stasi gab die ständig auf der Jagd nach abweichendem Verhalten war und das durch die Tratschmühle erbarmunglos gebrandmarkt hat. Auch das kann man in der Literatur nachlesen die von INFPs geschrieben wurde: die größte Angst der Menschen war immer, als gesellschaftlicher Pariah wahrgenommen zu werden. Einmal davon abgesehen dass der Ausschluss aus der Gemeinschaft immer das schärfste Schwert war (Exkommunikation ...). Man sieht das ja in der Politik als Spiegel der Gesellschaft: bis 1983 war man politisch entweder Schwarz oder Rot - und die Liberalen waren damals die schrägen Vögel. Alles andere hatte keinen Platz. Man vergleiche das einmal mit der heutigen Parteienlandschaft ...

Der Witz an der ganzen Sache ist nur der, dass - weil Jung einfach Recht hat - es diese Diversität immer gab und das nur dazu geführt hat dass es Subkulturen im Verborgenen und häufig in der Illegalität gegeben hat. Aber das ergibt sich eben auch aus der Psychologie und der Statistik: wenn die Typen nicht gleich verteilt werden gibt es Konstellationen die deutlich häufiger sind als andere und die übernehmen dann die Gewalt über das Narrrativ. Wenn es 16% der Bevölkerung gibt die auf Fi blind sind, während 38% Fi-dominant sind und der Rest es zumindest nachvollziehen kann (wenn auch nicht so stark), dann ist schnell klar was als "normal" betrachtet wird.

Nur das "normal" eben nicht normal ist, normal ist das wir alle verschieden sind. Und daraus ergibt sich wie in vielen Fällen das Paradoxon, dass gerade diejenigen die Angst davor haben durch ein solches Konzept ihre Individualität zu verlieren gerade das Konzept ablehnen was im Gegensatz zur vorherrschenden Vorstellung Diversität in den Mittelpunkt stellt.

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