Versagen der Gewaltenteilung
Heute wurde - vier Jahre nach der Tat - das Urteil gegen den Polizisten gefällt der nach einer Verfolgungsjagd auf den am Boden liegenden Fahrer eingeschlagen und -getreten hat: Freispruch. Die Begründung des Gerichts: durch die Todesangst bei der Verfolgungsjagd und die beim Einschlagen der Fahrertüre erlittenen Verletzungen sei eine Überschreitung der Notwehr entschuldbar.
Dieses Urteil ist einmal wieder ein fatales Signal für das Versagen der Gewaltenteilung, insbesondere der Justiz. Hier im kleinen, auf einer lokalen Ebene lässt sich damit genau derselbe Mechanismus beobachten der aktuell in den USA und historisch bei der Etablierung der Hitler-Diktator stattgefunden hat: eine Lenienz der Justiz gegenüber aktuellen und ehemaligen Mitgliedern der Exekutive sowie herausragenden Persönlichkeiten.
Demokratien stützen sich auf die Gewaltenteilung, die Aufteilung staatlicher Macht in Legislative, Exekutive und Judikative, die sich gegenseitig kontrollieren sollen und die sich gemeinsam an die Verfassung binden (Artikel 1 Grundgesetz). Und eines dieser Grundrechte Artikel 3: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" - und dieses Grundrecht hat das Gericht hier mit Füßen getreten. Man braucht nicht viel Fantasie um sich auszumalen wie das Urteil ausgefallen wäre hätte der Fahrer - obwohl genauso traumatisiert - gegen den am Boden liegenden Polizisten eingetreten. Hier wird also das Grundrecht gebeugt um das Gewaltmonopol der Exekutive - auf dessen Nutzung die Judikative ja angewiesen ist - nicht einschränken zu müssen. Außerdem hat das Gericht in seiner grundeigenen Aufgabe versagt: die Exekutive zu kontrollieren. Viel lieber urteilen Gerichte im Auftrag der beiden anderen Arme der staatlichen Macht gegen die Bürger, nur ein ganz kleiner Bruchteil der Verfahren richten sich gegen die Exekutive und noch weniger gegen die Legislative.
Und damit noch nicht genug: die Gerichte neigen oft dazu, sich mit juristischen Spitzfindigkeiten aus ihrer Verantwortung für die Einhaltung des Grundgesetzes zu stehlen und die Staatsanwaltschaft als Verfolgungsbehörde macht fröhlich mit. Selbst wenn die Tat des Polizisten entschuldbar gewesen wäre, verlangt der Schutz der Menschenwürde des Geschlagenen nach Sühne. Die Mittel dafür sind da: normalerweise sollten Polizisten - anders als Normalbürger - für die Bewältigung solcher Stresssituationen besonders geschult sein, also könnte man den für die Schulung verantwortlichen Beamten wegen Pflichtverletzung belangen. Und noch viel schlimmer: es war ja eine zwei-gegen-eins Situation: der zweite Beamte hätte genauso wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden müssen, weil er seinen Kollegen nicht gestoppt und dem Opfer keine Hilfe geleistet hat.
Aber dieses Versagen der Gerichte hat System. Das war schon in der Weimarer Republik so als Adolf Hitler, obwohl wegen Hochverrats verurteilt seine politische Karriere fortsetzen konnte. Und genauso wurde Donald Trump weder wegen seiner Beteiligung am Aufstand vom 6. Januar 2021 verurteilt noch wegen der unsachgemäßen Behandlung der Geheimdokumente. Auch dies sind alles krasse Verstöße gegen den simplen Grundsatz "vor dem Gesetz sind alle gleich" - andere Aufständische sind schnell verurteilt worden und genauso hat ein Fall Schlagzeilen gemacht wo ein junger Mann zwei Geheimdokumente mitgenommen hat und drei Monate später schon zu einer jahrelangen Gefängnisstrafe verurteilt wurde - verhaftet hat man ihn natürlich sofort. Aber wenn man statt zwei gleich zweihundert Dokumente mitnimmt und damit ganz offensichtlich eine Gefahr für den Staat ist, dann bekommt man eine Sonderbehandlung, wird nicht verhaftet, dann wird das Verfahren in die Länge gezogen und endet mit einem Freispruch. Weil die Person eben nicht "irgendein" Bürger ist, sondern Donald Trump, der ehemalige Präsident und Präsidentschaftskandidat.
In dem Fall des Prügelpolizisten wurde der Fall auch vier Jahre von der Justiz verzögert - und nach der Zeit sind die Zeugenaussagen natürlich verwaschen und nicht mehr sonderlich aussagekräftig. Das wird dann natürlich auf die Überlastung der Gerichte geschoben, aber das ist ein Systemversagen an sich - natürlich muss die Judikative auch ihre eigene Handlungsfähigkeit sicherstellen. Auch hier schmeckt das nach einem passenden Zufall. Nur dass es bei solch komplexen Systemen eben keine Zufälle gibt. Im Grundgesetz, Artikel 20 Absatz 2 heißt es zwar: "Alle Macht geht vom Volke aus", die Gerichte sind aber de facto von der Exekutive gesteuert und nicht vom Volk.
Das besonders schlimme ist dann im geschichtlichen Rückblick die Position verschiedener Historiker und Philosophen die dem deutschen Volk eine Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes in die Schuhe schieben wollen. Der einfache Bürger kann damit nämlich überhaupt nicht gemeint sein, dieser taucht auch bei der Gewaltenteilung nicht auf. Es existieren zwar Ansätze wie der "Staatsbürger in Uniform", aber ausgearbeitet ist dieses Konzept nicht. Das wäre etwas anderes wenn die Judikative die Position des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat systematisch stärken würde, wenn die anderen Gewalten konsequent in ihre Schranken verwiesen würden und der Bürger tatsächlich das Recht und die Pflicht hätte die Verfassung zu verteidigen. In der derzeitigen Form ist der Bürger in Deutschland aber recht- und machtlos, in den USA könnte man einen entsprechenden Ansatz im zweiten Verfassungszusatz sehen.
Es ist im Geschichtsunterricht sehr schwer nachvollziehbar wie die NSDAP unter Hitler in so kurzer Zeit die verfassungsmäßige Ordnung aushebeln konnte, die reinen Fakten vermitteln nicht das Gefühl was die aufmerksamen Bürger dieser Zeit gehabt haben müssen. Verfolgt man aber aktuell die Situation in den USA genau mit, dann wird anhand der unverkennbaren Parallelen ebenjenes Gefühl sehr greifbar. Zuerst wurden die Grundlagen geschaffen um die Gewalt der Exekutive prinzipiell auszuweiten (dieser Fehler war in der Weimarer Verfassung schon eingebaut). Und dann schafft die Exekutive in einer wahnwitzigen Geschwindigkeit einfach Fakten und setzt sich über den halbherzigen Widerstand der anderen Gewalten einfach hinweg. Bis diese endlich reagieren ist es bereits zu spät, die absolute Machtposition bereits etabliert. Und der einfache Bürger kann dem nur hilflos zusehen weil ihm von der Verfassung keinerlei Gewalt gegeben ist wirksam diese Veränderung aufzuhalten, es gibt kein Recht auf Widerstand gegen die Exekutive das von den Gerichten geschützt würde. Das Opfer aus dem aktuellen Fall hätte ein solches Recht dann gehabt und auch alle Umstehenden: man stelle sich die Situation vor wenn die Augenzeugen die Polizisten hätten überwältigen können - und als staatsbürgerliche Pflicht auch müssen - und solange festzusetzen bis sie der Gerechtigkeit zugeführt worden wären.
Damit ist die philosophische Position einer besonderen Verantwortung einfach nur Augenwischerei um von der Verantwortung all jener abzulenken die diese Macht besessen haben und freiwillig weggegeben haben: alle Abgeordneten die für das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, die Regierungen der Länder, die Richter und Staatsanwälte die die Verfassung nicht geschützt haben, die Polizisten die grundrechtswidrige Vorgaben umgesetzt haben: alle diese Personen sind persönlich und direkt für die Verbrechen des NS-Regimes verantwortlich, nicht die Bürger der damaligen Zeit.
Das wirft dann auch ein besonderes Licht auf die Möglichkeiten wie ein solches Regime überhaupt enden kann. In den USA ist man anscheinend immer noch der Meinung, man könnte bei den Zwischenwahlen das Parlament zurückgewinnen und Trump 2028 abwählen. Alleine mit dem Schritt die Vorsitzende der Wahlkommission gesetzwidrigerweise zu entlassen wurden schon die ersten Schritte unternommen um die nächsten "Wahlsiege" vorzubereiten. Diktatoren haben ja häufig einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung, auch wenn es keine Mehrheit ist - entweder reicht dann subtile Manipulation und wenn nicht, dann lässt man sich eben mit 35% der Stimmen einfach von der Wahlkommission zum Wahlsieger erklären. Da man sämtliche Gewalten mehr oder weniger kontrolliert ist die Gefahr durch die - ohnehin gespaltene - Bevölkerung überschaubar.
Nein, Diktaturen enden nur wenn die demokratischen Kräfte ihrerseits den rechtlichen Rahmen verlassen. Häufig geht dieser Rechtsbruch vom Militär aus, das je nach Konstellation eine von der Exekutive unabhängige Gewalt darstellt, die sich von dieser Lossagen und auf die Seite des Volkes stellen kann - was 1789 beim Sturm auf die Bastille passiert ist.
Ein reiner Volksaufstand wie 1989 in der DDR ist noch seltener. Aber all diesen Pfaden ist eines gemein: das existierende Recht wird gebrochen um die Grundwerte der Demokratie - hoffentlich - wiederherzustellen. Und es ist sehr unwahrscheinlich dass man eben jenes Recht was dabei versagt hat einfach wieder herstellt, in der Regel gibt es Übergangsregierungen und neue Verfassungen. Das bedeutet also im Klartext: alle US-Amerikaner, die ihre "Constitution" so sehr mögen: die Verfassung ist schon tot, sie weiß es nur noch nicht. Wir befinden uns auf einem quasi unumkehrbaren Pfad der nur dann endet wenn es so schlimm kommt dass entweder das Militär oder das Volk mit Gewalt und einem offenen Rechtsbruch das System hinwegfegt. Und dafür muss es schon sehr schlimm kommen.
Und vor diesem ganzen Hintergrund ist es eben so traurig zu beobachten dass sich deutsche Richter all diesen Konsequenzen nicht bewusst sind wenn sie ihre für die Mitglieder der Exekutive wohlwollenden Urteile fällen. Oder Staatsanwälte entweder gar nicht erst ermitteln oder Verfahren vorzeitig einstellen. Staatsversagen gibt es mehr als genug, aber Staatshaftung eben nicht. Und eine solche Verfassungsfrage - und damit die Beschränkung der eigenen Macht - wird keine Regierung in einen Koalitionsvertrag schreiben. Bislang ist es in Deutschland gutgegangen, in den USA sieht es schlecht aus. Die Frage ist nur: wie lange noch?
Das Urteil hat es in den msn-Newsfeed geschafft. Und wenn ich vorher noch nicht genug hatte, beim Lesen der Kommentare wird es noch schlimmer. Da kann man dann so was lesen:
- Freispruch ist das mindeste! Die Staatsanwaltschaft hat hier mal wieder komplett versagt und ist aus meiner Sicht unfähig. Ein guter Richterspruch im Namen des Volkes. Volle Unterstützung für den Polizisten!
- Der Täter war der andere nicht der Polizist. Diese Opfer Umkehr muss aufhören.
- Es ist gut, wie das in Deutschland läuft. Sicherlich nicht einfach, so ein Urteil zu fällen. Aber auch der Polizeidienst ist schwer. Man sollte sich einfach "vernünftig" aufführen. Die Verfolgungsjagd hätte auch mit Toten oder Verletzten enden können. Leute, haltet euch einfach an die Regeln. Ist ja nicht zu viel verlangt.
Und die wenigen kritischen Kommentare werden negativ bewertet:
- "Bei der Festnahme hatte der Bundespolizist auf den am Boden liegenden Mann fünfmal mit einem Schlagstock geschlagen und zweimal auf ihn eingetreten. Die Schläge und Tritte hatte der Angeklagte eingeräumt."
Jeder Normalbürger käme für Jahre hinter Gitter.
(25 Upvotes, 73 Downvotes) - Also wenn das so ist, ist der Herr ungeeignet für den Polizeiberuf und muss sofort in Behandlung und aus dem Polizeidienst entfernt werden.
(19 Upvotes, 90 Downvotes)
Da fragt man sich wirklich, ob man wirklich in einer Welt leben will die mehrheitlich eine solche Einstellung hat.
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