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Irrsinn hoch drei

Edit: ich habe dem Gerichtshof fälschlicherweise unterstellt, dass er immer noch Cookies setzt. Das Cookie hat ursprünglich eine Laufzeit von einem Jahr und war von früher noch da. Das ändert aber nichts an der Tatsache, das der Gerichtshof sein eigenes Verhalten als rechtswidrig erkannt hat. Und soviel dazu, dass INTJs Probleme hätten Fehler einzugestehen ;-)

Schon vor etwas über einem Monat hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil in der Rechtssache C-673/17 bezüglich Cookies auf Webseiten gesprochen, was hohe Wellen geschlagen hat und wahrscheinlich wieder eine neue Abmahnwelle lostreten wird. Damit man sich nicht auf Angaben dritter bezüglich des Inhaltes verlassen muss, hier das Urteil direkt von der Quelle, der Webseite des Europäischen Gerichtshofs:

Urteil C-673/17 des Europäischen Gerichtshofs mit Debugger
Urteil C-673/17 des Europäischen Gerichtshofs mit Debugger

Ich habe jetzt mal die entscheidenden Passagen gemarkert: Alle Cookies, unabhängig ob sie anonymisiert sind oder nicht, bedürfen einer ausdrücklichen Zustimmung des Nutzers (der noch dazu über die Laufzeit etc. informiert werden muss), ein einfaches stillschweigendes Einverständnis reicht sicher nicht aus, wenn hier in diesem Fall eine vorausgefüllte Checkbox schon nicht ausreichend ist.

Der EuGH bezieht sich hier auf die Menschenrechtskonvention, das heißt, dass diese Rechtslage so ja schon eine geraume Zeit besteht.

Das alleine ist zwar schon ziemlicher Irrsinn, weil es die Erfassung des Nutzerverhaltens auf Webseiten fast unmöglich macht und damit bestimmt zu einer Verschlechterung des Angebots für den Nutzer führen wird, denn nur wenn man weiß was wie oft geklickt wird kann man auch den gewünschten Content ausbauen. Wenn der Nutzer erst sein ausdrückliches Einverständnis geben muss nachdem man ihm eine ganze Seite mit den Bestimmungen, Laufzeiten et cetera gezeigt hat wird wohl kaum jemand zustimmen.

Richtig irrsinnig wird es dann wenn man mal schaut, was der Europäische Gerichtshof selbst macht: Schau an .. ein Matomo Cookie, Laufzeit vier Wochen. Natürlich ohne dass ich davon wusste und dass ich mein Einverständnis gegeben hätte. Man kann doch nicht auf der einen Seite sagen, dass diese Praxis grundsätzlich illegal ist, gegen die Menschenrechtskonvention verstößt und es dann jahrelang selbst machen! Das steht auf einer Linie mit dem Missbrauchsskandal in der Kirche, wo Priester jahrzehntelang Tugendhaftigkeit gepredigt haben und sich nebenbei an Kindern vergangen haben. Gut, die Richter werden nicht mit den Webadministratoren und den Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit gesprochen haben, aber das hätten sie mal besser tun sollen.

Es ist wieder nur ein klitzekleiner Baustein, aber mir gefällt die Richtung ganz und gar nicht in die sich unsere Gesellschaft bewegt. Ständig kommen neue Vorschriften und Verbote dazu … und auf der anderen Seite sieht die Realität so aus dass es ja überhaupt unmöglich ist die Einhaltung der Vorschriften flächendeckend zu überwachen. Da jeder Mensch ständig gegen irgendetwas verstößt - wahrscheinlich oft auch ohne es zu wissen - müsste es pro Bürger drei Aufpasser geben, die sich im Schichtdienst abwechseln. Und dann natürlich Aufpasser für die Aufpasser … völliger Blödsinn. Nur im Umkehrschluss heißt das: Jede Vorschrift deren Durchsetzung nicht für alle erzwungen werden kann, enthält ein Element der Willkür. Als bester Vergleich dazu fällt mir ein Sturmangriff in früheren Kriegen ein: Alle Soldaten einer Einheit stürmen nach vorne während die Granaten einschlagen. Das geht - einfach deshalb weil jeder Soldat hofft, dass es den Nebenmann und nicht sich selbst trifft. Wenn gewiss wäre dass jeder der vorstürmt auch getroffen wird dann würde die Einheit den Befehl glatt verweigern.

Und unsere Gesellschaft entwickelt sich in genau diese Richtung: Jeder verstößt ständig gegen irgendwelche Vorschriften und das funktioniert weil eben nicht alles geahndet wird. Gleichzeitig gibt es aber Menschen die die Entscheidungsbefugnis haben bestimmte Verstöße eben doch zu ahnden und damit wird es willkürlich. Wenn eben A, B und C das gleiche machen, aber nur B dafür bestraft wird. Aber genau das untergräbt doch das Fundament des Rechtsstaats. Und dann wollen wir noch gar nicht davon reden, dass die Gerichte zum gleichen Sachverhalt verschiedene Urteile sprechen (aktuell im Dieselskandal) oder dass man zwar Rechte hat, diese aber gegen den Staat nicht durchsetzen kann (wie das Recht auf einen Kindergartenplatz). Es wird ein Paradoxon geschaffen: Je mehr Vorschriften geschaffen werden, desto mehr wird der Rechtsstaat untergraben. Es wäre viel, viel besser die Zahl der Vorschriften drastisch zu reduzieren, dafür aber im Gegenzug dazu zu sorgen dass die verbleibenden Vorschriften zum einen mal untereinander konsistent sind und auch von jedermann befolgt werden. Wir haben schon jetzt zu oft die Situation, dass man - egal was man nun macht - rechtsbrüchig wird.

Aktuelles Beispiel der Rettungssanitäter: Sie können selbst Medikamente verabreichen um Leben zu retten - dafür sind sie ausgebildet - dürfen das aber nur wenn ein Arzt dabei ist. Wenn Sie jetzt vor dem Arzt da sind und der Patient gerade abnibbelt: Auf den Arzt warten und Patient sterben lassen? -> Unterlassene Hilfeleistung. Spritze setzen und Leben retten? -> Verstoß gegen die Ärzteordnung.

Oder der Fall mit dem umgefallenen Baum in Trier. Der Mitarbeiter der Verwaltung hätte alle zigtausend Bäume prüfen müssen, darf/muss aber aus arbeitsrechtlichen Vorschriften nur eine bestimmte Zahl von Stunden arbeiten und hat auch nur eine beschränkte Zahl an Baumprüfern zur Verfügung. Baum fällt um, Mensch tot. Und wer ist es dann schuld beziehungsweise was hätte der Mann denn tun sollen? Der Baum war einer von vielen auf der Liste die genauer überprüft werden sollten und es stand ja kein Pfeil dran dass genau dieser Baum dann auf jemanden fällt. Das ist ja wie Lotto spielen ob man den Baum nachprüfen lässt der wirklich demnächst umfällt. Oder man sägt einfach alle um.

Oder, nicht ganz so dramatisch, aber lustig: Aufhebung der Betriebsgenehmigung für die Atommüll-Zwischenlager an den Kernkraftwerken. Statement des Verantwortlichen: "Was sollen wir denn tun? Wir können das Zeug doch nicht an die Straße stellen!?"

Man kann in einer solchen Gesellschaft (noch) leben, man muss eben nur hoffen, dass einen die Granate nicht trifft. Oder wenn etwas trifft, dann eben nicht an einer lebenswichtigen Stelle. Den Kachelmann hat die Granate getroffen und sein Leben zerstört - und laut Urteil war er wohl gar nicht mal schuldig.

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Mein 100. Artikel - zur Abwechslung wird es mal positiv. In den letzten Jahren ist der Datenschutz ja bekanntlich stark verschärft worden, ich sage nur DSGVO et cetera - siehe auch EuGH und Cookies. Lassen wir mal den Aspekt außer Acht dass hier wieder zw

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