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Pharisäertum

Aus der Kritik von "MH" des Trierischen Volksfreunds zum Film "Atomkraft Forever":

Dann folgten dröhnende, düstere Klänge und trostlose Bilder des ehemaligen AKWs Greifswald sowie Aufnahmen von Arbeitern, die die Räume des Kraftwerks mühevoll abtrugen. [...] Doch nicht nur der Ausbau der gefahrenreichen Technik wurde gezeigt. [...] Und obwohl die Pro-Argumente überzeugnd klangen, so gab es ein großes Defizit, für das bis heute kein Lösungsvorschlag vorliegt: die Frage nach dem Endlager für den Atommüll. Und obwohl der Beitrag teilweise langatmig war, stimmte er nachdenklich und schockierte nachdrücklich.

Da ist es wieder: das Haupt-Totschlagsargument gegen die Kernkraft: Man muss doch den Müll für (beliebige Zahl zwischen 20.000 und einer Million Jahre einfügen) sicher lagern können. Alle anderen Argumente machen die Kernkraft in etwa ebenbürtig mit den erneuerbaren Energien: Verfügbarkeit, Sicherheit, Emmissionen. Aber der Müll ...

In einem anderen Artikel habe ich schon mal eine Größenordnung wiedergegeben: Der Energieverbrauch eines Menschenlebens lässt sich mit zwei Coladosen voll Uran decken. Das Müllproblem ist also auf jeden Fall geometrisch schon mal sehr klein.

Man kommt nicht direkt darauf, weil man dieses Argument ja schon hundertmal gehört hat, aber im Grunde ist das Argument genauso perfide wie alle Regelungen bei denen Menschen über den Körper anderer, ihnen völlig fremden Menschen entscheiden. Warum? Weil es unzweifelhaft ist dass man den Atommüll zumindest für ein paar Generationen sicher verbuddeln kann. Wer also mit dem Müllproblem argumentiert, tut dies nicht wegen der Gefährdung seiner Sicherheit und auch nicht mal wegen der Sicherheit seiner Kinder oder Enkel, also irgendjemandem dem man mal persönlich begegnen würde. Und ja, ich hätte nichts dagegen wenn tausend Meter unter meinem Haus der ganze Atommüll Deutschlands lagern würde, wenn er nach dem derzeitigen Stand der Technik für absehbare Zeit sicher eingeschlossen ist. Durch 1.000 Meter Felsgestein wird das alles komplett abgeschirmt.

Wer das Müllargument anführt argumentiert im Gegenteil als Stellvertreter für die Menschen die dann in ein paar Tausend Jahren vielleicht auf den Müll stoßen. Genauso wie damals die Pharisäer stellvertretend für alle Juden die Thora ausgelegt haben.

Aber ist das nicht einfach zu anmaßend? Woher sollen wir heute wissen, was die Menschen in - sagen wir zwanzigtausend Jahren - wollen? Wäre es ihnen lieber gewesen wenn wir von Anfang an mehr Kernenergie genutzt hätten und ihnen mehr Depots mit Transuranen hinterlassen hätten (die man dann vielleicht für den Warpdrive braucht) oder war es ihnen lieber dass wir das Äquivalent in CO2 in die Atmosphäre gepustet haben? Sind die Menschen dann so fortschrittlich dass sie sich über diese tertiären Bodenschätze freuen oder hat sich die Menschheit dann nach ein paar (vielen) Nuklearkriegen entweder ausgelöscht oder in die Steinzeit gebombt? Und so oder so: spielt das eine Rolle? Die Überlebenden von Generationen von Nuklearkriegen dürften durch die Evolution genauso immun gegen Radioaktivität sein wie die fortschrittliche Zivilisation den von der Strahlung ausgelösten Krebs einfach heilen kann.

Löst man das Argument so auf, dann sieht man deutlich dass es ein falsches Argument ist, genauso wie man in der Mathematik mit einer versteckten Division durch Null alles beweisen kann. Da man einfach nicht sagen kann was die Menschen in der fernen Zukunft wollen kann man damit eben alles unwiderlegbar argumentieren. Aber damit wird es gleichzeitig auch willkürlich und bedeutungslos.

Die Pharaonen des alten Reichs haben die Pyramiden sicherlich nicht dafür gebaut dass Millionen Touristen darin herumlaufen. Und genausowenig haben sie sich mumifizieren lassen um dann in einem Museum zu landen. Wir haben heute, immerhin knapp 5.000 Jahre später überhaupt kein Problem damit völlig zu ignorieren was die Menschen damals gerne gehabt hätten was wir heute tun sollten. Hätte er das wirklich verbindlich entscheiden können, dann wäre "ewige Anbetung als Gott" sicherlich weit oben auf der Wunschliste gestanden und die Fallblöcke zeugen ja eindeutig von der Absicht, das Grab "für ewig" von der Außenwelt abzuschirmen. Interessiert uns aber heute nicht die Bohne.

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Unter den vielen Youtube-Videos gibt es auch den Kanal der WELT. Und ich habe selten so einen schlechten, feigen Journalismus wie von Moderator Alexander Siemon gesehen. Hier interviewt er Anna Veronika Wendland. Als sie sagt, dass sich das Müllproblem be

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