Wie ein Fossil
Nach längerem hin und her habe ich mich dann doch dazu durchgerungen nach Trier zum Altstadtfest zu fahren. Ich habe halt eine Schwäche für Livemusik, und dann war das Wetter ja auch noch so bombenmäßig. Ich hatte zwar gewisse Bedenken bezüglich was denn gespielt werden würde und dummerweise ließ sich das auch mit Google und dem Programmheft nicht wirklich herausfinden. Und anders als sonst konnte ich diesmal schon früher da sein.
Wenn ich mit etwas zurückgekommen bin, dann wirklich mit dem Gefühl ein Fossil zu sein. Noch nicht einmal wegen dem Alter - der Alterschnitt dürfte 20 Jahre jünger liegen -, mehr wegen dem was gespielt wurde. Mein Musikgeschmack ist ja breit gefächert und bezüglich Rockmusik geht es mit Rock'n Roll los und aktuell finde ich es spannend was Scardust aus Israel gerade macht. Und trotzdem gab es kaum Überlappungen mit dem was gespielt wurde.
Von den Songs die ich gerade selbst als Schlagzeuger am Üben bin kam gerade einer: Boulevard of Broken Dreams (2004) von Green Day. Das waren die Schüler der Musikschule und in der Haut des Sängers möchte ich nicht stecken - der ist nämlich rausgeflogen. Die Musikschule hat sich auch an Seven Nation Army (2003) von The White Stripes versucht und ihr Finale war Another Brick in the Wall (1979) von Pink Floyd. Was wurde sonst noch gespielt? All the Small Things (1999) von Blink-182, Narcotic (1996) von Liquido - und das wars. Es hat sich jedenfalls verändert. Früher gab es immer noch die Jazzbühne - die ist weg - und es gab ja auch schon Bühnen wo Manfred Mann's Earth Band gespielt wurde. Das ist aber alles nicht mehr.
Als Schlagzeuger schaut man ja was die Kollegen so alles aufbauen und da ergibt sich in etwa das gleiche Bild. Farblich bin ich froh das rote Schlagzeug gekauft zu haben, so was sieht auf der Bühne gut aus. Mehrfach hat man schwarz gesehen, einmal White Sparkle .. und Sunburst ist einfach nur häßlich - aber das ist ja nur die Optik. Einer hat elektronisch gespielt, der Rest klassisch akustisch. Aber durch die Bank weg - das Schlagzeug reflektiert das Genre. Meistens nur eine Hänge- und eine Standtom, manchmal auch drei - aber nie mehr. Genauso bei den Becken: Ride und zweimal Crash und Schluss. Dann wundert auch nicht dass alle mit Ständern unterwegs sind und niemand (außer dem E-Drummer) mit einem Rack. Einer hatte Chimes hängen und der Rockpirat war noch am üppigsten ausgestattet - zwar nur zwei Toms, dafür aber eine Piccolo-Snare, Cowbell und zwei Stackbecken.
Man vergleiche das mal mit dem was Kai Hahto hier vor sich hat:
Mein Setup ist ähnlich, so weit es halt die Eingänge im Modul hergeben: vier Toms (wobei die zweite Standtom seit letztem Herbst auf sich warten lässt und ich mit einem anderen Pad, Stativ und Kabelbindern improvisieren muss), zwei Crashes, ein China, ein Stack, Splash und zwei Trigger für Percussion, bei Nightwish mit Chimes und Tamburin belegt. Man glaubt nicht bei wie vielen Songs ein Tamburin auf der Studioaufnahme ist und es ist in der Regel überhaupt keine Problem das als Schlagzeuger mitzuspielen. Macht nur sonst keiner.
Hier wird ein ganzes Genre mit fünfzig Jahren Geschichte unter den Teppich gekehrt. Man stelle sich mal vor wenn die Opernhäuser und Philharmonien nur noch E-Musik spielen würden die in den letzten 25 Jahren komponiert wurde - es wäre schneller leer als man gucken kann. Wenn ja schon so Sachen wie Zwölftonmusik und Stockhausen mit der Beißzange angefasst werden. Die Klassiker laufen rauf und runter und die haben schon 200 Jahre auf dem Buckel.
Und die Klassiker - das ist im Bereich der Rockmusik die ganze Entwicklung die etwa mit Led Zeppelin Anfang der 1970er begann, vom Hard Rock zum Heavy Metal mit Zwischenstationen bei Grunge und Punk Rock und sich jetzt in die vielen, vielen Metal-Spielarten aufgefächert hat. Und ich muss wohl ein Fossil sein wenn ich das mag. Oder es fehlt nur am richtigen Sponsoring, wenn es eine Sparkassenbühne, eine Stadtwerke-Trier-Bühne und eine RPR1-Bühne gibt, dann fehlt halt eine Trierer-Stahlwerk-Bühne wo eben etwas 'metallischere' Musik gespielt wird. Und dafür braucht man eben so ein fettes Drumsetup. Wenn es ein ikonisches Drumfill dieser Zeit gibt dann ist das auf I was made for lovin' you von KISS: jeweils vier Sechzehntel auf vier Toms, absteigend. Und diesen Einfluss merkt man immer noch bei Nightwish, wo die Drums immer noch sehr Tomlastig mit ausgedehnten Tomparts sind. Man denke nur an das Interludium bei Storytime von Nightwish, ich habe zumindest versucht das zu transkribieren und so richtig regelmäßig scheint das nicht zu sein.
Ich befürchte, dass meine eigenen Ambitionen, einfach nur eine Garagenband zu finden oder zu gründen - also Skill egal und hobbymäßiger Anspruch - mehr als mau sind. Meine Anzeigen sind ja seit einiger Zeit draußen und es hat sich nichts getan. Und wenn man die anderen Anzeigen so schaut dann ergibt sich ein klares Dilemma: man bekäme wohl einen Bassisten, Gitarristen und eine Sängerin. Aber eben keinen Sänger und keinen Tastenheini (darf ich so nennen weil ich ja selber auch einer bin). Und damit schließen sich beide für mich interessanten Richtungen aus: für Hard Rock braucht man den Sänger, es gibt zwar ein paar Nummern die von Frauen gesungen werden, aber es sind erschreckend wenige die auf meiner Playlist sind:
- 4 Non Blondes: What's up?
- Alanis Morissette: Ironic
- The Cranberries: Zombie
- Evanescence: My Immortal
- Joan Jett & The Blackhearts: I love Rock 'n Roll
- Melissa Etheridge: Like the Way I Do
- Pink: Like a Pill
- Jefferson Airplane: Somebody to Love
- Wanda Jackson: Let's have a party
- Wir Sind Helden: Denkmal
Wobei die letzten drei noch nicht mal Hard Rock / Alternative sind, eigentlich die meisten nicht wirklich. Die Emanzipation ist an der Musik irgendwie vorbeigegangen, jedenfalls in dem Genre, Richtung Soul, Disco, Latin und Pop gibt es dann wieder mehr aber ob man das so mischen sollte ... und so wirklich kommt man ohne Keyboards dann noch nicht aus, wenn man an Jump oder The Final Countdown denkt, das kann man nicht vom Band zusteuern. Meiner Meinung nach sollte Live schon live sein, man kann zwar mit Backing Track spielen, aber dann muss man auch praktisch nach Metronom spielen und das ist irgendwie Pfusch.
Und die Alternative - das wäre Symphonic Metal = Nightwish. Toll wenn man eine Sängerin findet die das singen kann. Absolute Katastrophe wenn man eben niemanden für das Symphonic hat. Ich lebe noch von der Hoffnung, das erlaubt mir auch fleißig weiterzuüben, aber ich befürchte dass dann irgendwann der Punkt kommt wo es alleine keinen Spaß mehr macht.
Und dann gibt es noch die ganzen anderen Sachen die mir aufgefallen sind, mal abgesehen von der simplen Tatsache dass man sich mitten in einer Menschenmenge verdammt einsam fühlen kann. Die Bands am Nachmittag taten mir echt leid, wenn vor der Bühne nur 20 Leute oder so stehen. Dann verstehe ich immmer noch nicht was die Tontechniker so machen. Nachmittags war der Pegel ja okay und ein bisschen höher drehen wird man wohl müssen wenn mehr Publikum da ist - aber das war eindeutig zu viel. Ich weiß warum ich immer Ohrstöpsel dabei habe - aber die schlucken die Feinheiten weg. Ohne? Das hat mal eine Coverband schön besungen mit "Next Day Ohr Piep". Und deshalb werden mir im Microsoft-Feed immer Hörgeräte beworben, noch dazu mit Bildern von jungen Menschen ... da wundere ich mich nicht mehr. Gerade von den Eltern ist das unverantwortlich die ihre Kinder direkt vor den Boxen haben stehen lassen. Und trotz der Vorkehrungen piepts bei mir wieder, wobei ich aber nicht sagen kann ob es von der Nackenmuskulatur kommt oder vom Lärm, ich habe schon ewig damit zu tun und ich kann noch nicht mal was dafür wenn der erste Hörschaden auf einer Klassenfahrt zum Basketballspiel (!) aufgetreten ist. Sollte ich tatsächlich mal eine Band finden und auf einer Bühne stehen muss ich mir noch überlegen wie ich das mache ... wahrscheinlich mit In-Ear-Monitoren, sonst kann ich meine Ohren am nächsten Tag wegschmeißen. Was mir bei den Soundchecks auch aufgefallen ist: gerade das Schlagzeug klingt völlig anders wenn es aus der PA-Anlage kommt als das was auf der Bühne steht. Kein Wunder dass es diese lustigen Youtube-Videos gibt wo man ein 50$ Kinderspielzeug-Schlagzeug nimmt und das so mikrofoniert und abmischt dass es gut klingt.
Dann natürlich auch der ganze Alkoholkonsum ... ich habe die die Bier- und Weinstände erst gar nicht gezählt. Im Nachhinein fällt mir auch niemand ein den ich mit einer Cola gesehen hätte.
Und es fällt auch auf wie abgehängt mein Wohnort ist. Zum einen vom Alter der Menschen die herumlaufen und dann auch noch wie sich der weibliche Teil der Bevölkerung kleidet. In der Stadt sieht man viel an Sommerkleidern und dazu passende Fußbekleidung - was bei den Temperaturen auch Sinn macht. Hier ... *schauder*. Ich habe der einen Band beim Soundcheck ja was zugerufen als sie einen Ventilator für den Drummer angeschleppt haben: würden sie Punk spielen, könnte der ja oben ohne spielen, das ist deren Standard-Bühnenoutfit. Haben sie aber nicht drauf reagiert.
Ach so: ich war ja unter anderem auf dem Domfreihof wo ich letztes Jahr Schach gespielt und die Stadt Trier deshalb angeschrieben habe. Natürlich hat sich dort nichts in der Beziehung getan, es hätte mich auch sehr gewundert.
Comments
Display comments as Linear | Threaded