Skip to content

Haben wollen

Wieder mal etwas, was ich in typischer INTJ-Manier analysiere, aber so bin ich nun mal und das lässt sich auch nicht ändern. Es geht im Prinzip darum wenn zwei Menschen in wie auch immer gearteter Art einen Handel abschließen. Das kann so etwas simples sein wie ein Kauf in einem Geschäft oder eben auch etwas ganz anderes wie die Frage, wer den Müll rausträgt. Menschen mit ausgeprägter Interpersoneller Intelligenz machen das vielleicht komplett aus dem Bauchgefühl heraus, es gibt aber sehr einfache logisch-analytische Hilfsmittel um die Situation zu durchleuchten und bessere Entscheidungen zu treffen.

Die meisten Gedanken stammen aus einer Coursera-Vorlesung mit dem Thema "Successful Negotiation", die auch als Buch erhältlich ist: Negotiation for Success: Essential Strategies and Skills von George J. Seidel von der University of Michigan in Ann Arbor.

Negotiating for Success

Der wichtigste Aspekt bei jeder Verhandlung ist wohl die BATNA, die beste Alternative zu einer ausgehandelten Vereinbarung. Mit anderen Worten: "Was passiert, wenn man sich mit dem Verhandlungspartner nicht einigen kann?". Diese Frage sollte man sich immer stellen. Und in Verbindung mit dem Titel dieses Artikels: Wir wollen alle immer etwas haben. Die Frage ist aber auch was wir bereit sind dafür zu geben und was die Alternativen sind.

Ein zweiter Aspekt der dabei hilft ist etwas Spieltheorie. Nehmen wir einen Fall wo A der Überzeugung ist, dass B ihm 1.000 Euro aus einem berechtigten Grund schuldet. B hingegen ist der Meinung, dass diese Forderung unberechtigt ist. Wenn A und B jetzt verhandeln, ist der entscheidende Punkt dabei was denn passieren würde wenn die Verhandlung scheitert. Dann würde A wohl vor Gericht ziehen und versuchen seine Forderung einzuklagen. So ein Schritt hat immer mindestens zwei mögliche Resultate: A kann gewinnen, dann bekäme A seine 1.000 Euro. A kann aber auch genauso verlieren, dann wären die Gerichtskosten und die eigenen als auch die Rechtsanwaltskosten von B fällig, sagen wir mal insgesamt 500 Euro Kosten.

Das ist zwar jetzt immer etwas geraten, aber nehmen wir der Einfachheit einmal mal an, die Erfolgschancen der Klage wären 50%. Wenn jetzt B in der Verhandlung 400 Euro bietet, sollte A den Vorschlag annehmen? Klingt erstmal bescheiden. Der Witz ist: die Mathematik ermöglicht es, das auszurechnen.

A gewinnt 1.000 Euro mit 50% Wahrscheinlichkeit = Erwartungwert ist 500€
A verliert 500 Euro mit 50% Wahrscheinlichkeit = Erwartungswert ist -250€

Zusammen ist also der Erwartungswert der Gerichtsverhandlung von A mickrige 250 Euro, die 400 Euro wären also ein sehr attraktiver Vorschlag. Wie gesagt, die meisten Menschen machen die gleiche Überlegung unbewusst, aber eben auch oftmals durch eine egozentrische Sichtweise verzerrt. Je näher einem Menschen das Ergebnis persönlich geht, desto höher wird es bewertet. Ein ganz typisches Beispiel ist zum Beispiel, dass die eigene Zeit höher bewertet wird als Geld, weil man das zwar auch für seine Zeit bekommt, aber eben indirekt und deshalb da der Bezug schwächer ist.

Menschen wollen erstmal alles haben was sie bekommen können, das ist wohl schon in unseren Genen programmiert. Interessant wird es eben dann was wir bereit sind dafür zu geben und vor allem auch wann im Laufe einer Verhandlung. Ich plane und verkaufe im normalen Leben ja Küchen und ohne das jetzt bewusst zu machen, lassen sich diese Prinzipien jetzt auch auf den Verkaufserfolg dort anwenden. Das gewünschte Ergebnis beider Seiten ist klar: Ich möchte die Küche so teuer wie möglich verkaufen, der Kunde will die Küche die ihm gefällt so günstig wie möglich bekommen. Aber es geht dabei eben nicht nur um Euro. Ich werde immer wieder mal telefonisch gefragt ob ich denn zu einem potentiellen Kunden fahren könnte um zu messen und ein Angebot zu machen. Klar kann ich das auch tun, ich fahre zum Kunden hin, messe auf, bespreche das was der Kunde haben will und dann mache ich das Angebot und schicke es ihm per Mail oder per Post.

Wer bis hierhin aufmerksam gelesen hat, dem sollte klarwerden dass das eine ganz blöde Idee mit ziemlich schlechten Erfolgsaussichten ist und meine Erfahrungen bestätigen das. Warum? Ganz einfach: Es gibt eine starke Assymmetrie darin, wer im Vorfeld wie viel investiert hat. Es geht hier erstmal weniger um Geld sondern mehr um Zeit. Für den Kunden war es einfach, er hat vielleicht gerade mal die halbe Stunde oder Stunde investiert um zu Hause mit dem potentiellen Verkäufer zu sprechen. Der Verkäufer hingegen hat diese Zeit investiert, dann die Fahrt zum Kunden und zurück und dann noch die Zeit um das Angebot zu erstellen. Und das hat gleich mehrere negative Konsequenzen: Zum einen kann der Interessent auf diese Art und Weise sich eine große Zahl von Angeboten machen lassen, sein Aufwand dafür ist ja nur klein. Alleine das senkt schon die Erfolgssaussichten jedes Einzelnen Anbieters. Der Verkäufer hat schon sehr viel Zeit investiert und dadurch schon ein viel größeres Interesse hier zum Abschluss zu kommen und muss dieses Investment in seinen Erwartungswert mit einbeziehen. Sein BATNA im Falle eines Misserfolgs ist hier stark negativ.

Dazu kommt noch, dass die Beziehung von Kunde zum angebotenen Produkt nur schwach ist, der Kunde hat vielleicht mal gerade eine Musterfront gesehen und dann noch das Bildchen im Angebot.

Ganz anders wird das, wenn der Kunde zum potentiellen Verkäufer ins Geschäft kommt und dann die komplette Küche mit dem Verkäufer zusammen plant. Diesmal ist es der Kunde, der die Fahrzeit investiert hat, und das Zeitinvestment für die Planung ist für Käufer und Verkäufer gleich. Außerdem ist die Bindung des Kunden an die angebotene Küche viel größer, denn er hat schließlich jedes einzelne Teil gesehen, angefasst und ausgesucht. Wenn das Investment für den Kunden also sagen wir mal sechs Stunden Zeit ist, dann wird er das auch nicht zehnmal machen.

Die schlussendliche Entscheidung hängt dann natürlich noch von viel mehr Faktoren ab, beim Investment im Vorfeld ist das Spielfeld dadurch aber etwa ausgeglichen. Und diesen ganzen Komplex musste ich mir nochmal bewusst machen wo es jetzt um die Blogsoftware und meinen Pull-Request für das Abonnements-Feature geht. Geld bekomme ich sowieso keines dafür, es geht jetzt also nur noch um die Frage, ob ich es für mich alleine oder für alle Serendipity-Nutzer geschrieben habe, was sozusagen eine Anerkennung meiner Großzügigkeit bedeuten würde. Das Problem ist aber jetzt, dass den Verantwortlichen mein Beitrag aus verschiedenen Gründen nicht gefällt, er greift ihrer Meinung nach zu tief in den Programmkern ein und es sind noch ein paar Bugs in den alternativen Datenbankformaten drin die ich nicht testen konnte. Dadurch ergibt sich implizit die Forderung, ich möge das doch alles nochmal umschreiben und fixen und dann könnte man noch mal schauen.

Aber: Sollte ich das jetzt wirklich machen? Entweder wollen sie das Feature haben oder es ist ihnen nicht so wichtig, sie würden es halt nehmen wenn sie es mit wenig Aufwand bekommen könnten. Wie wir aber gesehen haben, ist der Ausgang von Verhandlungen aber stark davon abhängig wie viel da jeweils im Vorfeld investiert worden ist. Wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich von vornherein darauf geachtet dass die andere Seite auch investiert ist, aber nun ja, mein Primärziel war es ja das Feature für mich selbst zu haben. Aber jetzt nochmal was-weiß-ich wie viele Stunden zu investieren um es dann auch noch in einer Art abzuändern die ich nicht für sinnvoll halte ohne dass von der anderen Seite ein gleichartiger Beitrag kommt? Macht wirklich keinen Sinn, wenn ich jetzt kein übersteigertes Geltungsbewusstsein habe was mich unbedingt dazu zwingt das Feature zu verbreiten, mehr bekomme ich ja nun wirklich nicht dafür.

Es ist zwar schwer, die hunderte Stunden die man da investiert hat abzuschreiben, das ist genauso wie eine typische Falle in die Poker-Anfänger tappen: Wenn man schon so viel Geld in den Pott geworfen hat ist man leicht dabei dem ganzen noch mehr hinterher zu werfen auch wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit es nicht rechtfertigt, die emotionale Bindung ist eben stärker. Das ist genauso wie wenn beim Münzwurf zehnmal hintereinander Zahl kommt, "dann muss doch jetzt Kopf kommen". Das ist zwar menschlich, aber eben falsch. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist genauso wie vorher. An diesem Punkt ist es also wichtig stillzuhalten und abzuwarten wie sehr die andere Seite interessiert ist. Wenn es ihnen wichtig ist wird sich schon jemand finden der die Zeit investiert und die besagten Bugs fixt. Wenn es ihnen diese Zeit nicht wert ist, dann stehen die Chancen für eine Einigung sowieso schon extrem schlecht und die Zeit die man dann einseitig darin investiert in der Hoffnung das es besser wird ist auch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vergeudet. Für die andere Seite sollte das eigentlich ganz anders aussehen. Spielen sie nicht nach meinen Regeln, dann bekommen sie weder das Feature noch weitere Beiträge von mir (die ja auch schon fertig sind). Der potentielle Verlust ist also recht groß. Wenn man denn zu dieser Erkenntnis kommt.

"Faire" Geschäfte ergeben sich sowieso nur dann, wenn das Interesse beider Seiten etwa gleich ist. Wenn man Wasserhändler in der Wüste ist und kommt an jemandem vorbei der gerade am Verdursten ist, dann ist das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zwar fair in dem Sinn, dass der Preis für das Glas Wasser ja der Preis für das Überleben ist, aber eben auch unfair in dem Sinn dass der Verkäufer sich hier fast unbegrenzt an der Not anderer bereichern kann. Und wenn es zu keiner Einigung kommt, kommt er eben einen Tag später und plündert die Leiche ... Und das ist dann wieder eine Frage der Moral mit einem ganzen Rattenschwanz an kurz- und langfristigen Konsequenzen. Gerade bei Intuitiven spielen die langfristigen Auswirkungen eine viel stärkere Rolle als bei Sensortypen für die mehr das greifbare, kurzfristige Ergebnis im Vordergrund steht.

Abgesehen davon stehen in dem Buch auch andere, sehr hilfreiche Aspekte wie den Fall wo man bei einer Verhandlung den Kuchen gar nicht teilen muss. Wenn ein Amerikaner und ein Chinese über ein Huhn verhandeln, dann man das Huhn ja so teilen dass der Amerikaner die Wings und der Chinese die Füße bekommt und beide haben zu 100% das was sie wollten ...

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.
Formular-Optionen

Sie können auch über neue Kommentare informiert werden ohne einen zu verfassen. Bitte geben Sie ihre email-Adresse unten ein.