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Vultology: gar keine schlechte Idee, aber ...

Manchmal muss man einfach mal Glück haben. Ich befand mich gerade in einer krassen Stimmung, resultierend aus einem Mangel an Perspektive. Und dann bin ich durch Zufall auf etwas gestoßen was wieder einen komplett neuen Horizont erschließt. Der Link befand sich in einem INTP-Forum wo jemand darauf hingewiesen hat dass Ne (Extroverted Intuition) an den Augen erkennbar wäre - der Link ging zu vultology.com beziehungsweise cognitivetype.com.

Ich habe immer schon vermutet beziehungsweise aus dem Bauch heraus gefühlt dass man die Persönlichkeit zumindest annähernd aus einem Video - und manchmal sogar aus einem Foto - erkennen kann. Und die Seite handelt tatsächlich von einem - als Forschungsprojekt betitelten - Versuch, einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit, den Jung'schen Denkfunktionen und messbaren Köpersprachlichen Signalen herzustellen.

Auf der einen Seite ist das faszinierend und ich habe einen ganzen Tag damit verbracht mich in den Stoff einzuarbeiten. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch - typisch für mich - die Kritikpunkte.

Der Ausgangspunkt folgt im wesentlichen der Herleitung der Denkfunktionen. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann ist aber die Kritik an Jung die darauf basiert dass das alles nur quasi dessen Bauchgefühl entspringt ohne wissenschaftlich belegbar zu sein. Die Kritik ist aber auch wissenschaftlich falsch - eine Theorie ist nicht deshalb schlecht weil sie nicht in Folge von Messwerten entstanden ist sondern grundsätzlich neues Terrain betrifft. Zum Beispiel folgte zwar die Spezielle Relativitätstheorie bestimmten bis dahin unerklärlichen Beobachtungen, die Allgemeine Relativitätstheorie hat aber anders herum vieles vorhergesagt was lange gar nicht überprüfbar war. Beide Möglichkeiten eine Theorie aufzustellen sind deshalb legitim.

Das grundsätzliche Problem aber bleibt: wenn man die acht Denkfunktionen direkt nachweisen will ist man auf das angewiesen was Menschen sagen und wie sie sich verhalten und das ist alles zwar für mich subjektiv stimmig, aber eben nicht wissenschaftlich messbar. Die Idee, einen Kanon von optischen Verhaltensmustern zu erstellen, diese den Funktionen zuzuordnen und damit die Existenz der Funktionen zu beweisen ist deshalb erst mal genial, denn man kann beliebigen Testern die Liste mit den Mustern geben, ein Video und dann kann man einfach quasi eine Strichliste erstellen und bekommt damit tatsächlich ein objektiv überprüfbares Ergebnis.

Für mich ist das natürlich unglaublich faszinierend denn damit kann man tatsächlich einer Person den Typ ansehen.

Das Problem was der Urheber der Geschichte hat: er hat dabei ein paar Fehler gemacht. Zum einen gibt es mindestens zwei Theorien und zwei oder drei verschiedene Listen von Mustern und dabei hat er auch noch Theorie und Messung durcheinander geworfen. Und nebenbei verletzt er auch noch das Öffentlichkeitsprinzip. Mal ehrlich: wenn man Teile der Aktion hinter einer Bezahlschranke versteckt, dann ist das alles nicht viel mehr als noch ein weiterer Persönlichkeitskult. Sei es dass man für die Erstellung seines Profils bezahlen muss, sei es dass man als "zertifizierter Vultologe" gegen Bezahlung geschult wird.

Aber zurück zu den Basics: In dem er die Muster den Funktionen zuordnet, werden die Tester ja automatisch beeinflusst. Wissenschaftlich richtig wäre es die Liste zufällig sortiert zu halten und dann aus den Messergebnissen die zusammenfallenden Muster zu bilden. Der "heilige Gral" den man dabei ja sucht ist der Nachweis, dass man es nicht mit einer Glockenkurve zu tun hat (also die Verteilung um ein Maximum herum) sondern sich zwei Maxima herausbilden - ähnlich wie bei der Zuordnung zu einem Geschlecht.

Und um das zu bewerkstelligen ist es zwar grundsätzlich nicht falsch beziehungsweise sogar erforderlich die Tester zu schulen und die Muster genau zu bestimmen, aber der Weg kann nur dazu führen dass man so viele Tester und Testpersonen hat wie nur irgendwie möglich und das geht nicht hinter einer Bezahlschranke. Dazu bräuchte man quasi "Citizen Science". Menschen gibt es ja überall, je diverser desto besser. Die Gruppe der Menschen die in öffentlich aufrufbaren Videos zu sehen ist ist schon sehr speziell und alles andere als eine Abbildung der Gesellschaft.

Wenn man also eine Datenbank an Testpersonen-Videos hat dann sollte man die ausgezählten Strichlisten auch dazu veröffentlichen - das sind die Daten die erst mal für sich alleine stehen müssen. Im zweiten Schritt kann man dann immer noch den Sprung dazu machen das auf die bisherige Theorie zu übertragen, die Zuordnungen zu machen und dann die Schlüsse daraus zu ziehen. Und das muss man so programmieren dass sich die Ergebnisse an den jeweiligen Stand der Theorie anpassen. Jedenfalls ist der Sprung von der Erkennung der Muster zu den 16 Typen aus zwei Funktionen mit der Brechstange herbeigeholt weil man das wohl mit Gewalt zusammenführen will. Und bei den Mustern (zumindest die 2020er Version) sind auch Faktoren aufgeführt die psychologisch sind wie "Rambling about chronological Topics" und damit nicht dazugehören. Genauso wie die Berufe - zwar gibt das eine Korrelation, die ist aber unter Umständen nur schwach wie z. B. der INFP der Buchhalter ist.

Konkret geht es mir dabei um Sabine Hossenfelder, die einen wissenschaftlichen Youtube-Kanal hat und nach meiner bisherigen Beobachtung ein ganz klarer INTJ ist. Nur dass sie in deren Datenbank als SiTe geführt wird - der Abzählbogen aber dahingehend keinen Sinn macht da die fraglichen Muster eher zu Ne passen würden als zu Si.

Etwas anderes was mir schon nach ein paar Versuchen im realen Leben und bei der Beobachtung einer Talkshow aufgefallen ist: Das ganze macht einem nicht den Gefallen, sich reibungslos mit dem zusammenführen zu lassen was sich aus der psychologischen Seite der Theorie ergibt. Manchmal ist es wirklich einfach: bei Max Mutzke erkennt man klar Fe und Ni, das macht ihm zu einem INFJ. Im gleichen Nachtcafé war auch Kathy Karrenbauer - und da erkennt man überhaupt keine introvertierte Funktion, nur Te und Se. Und in meinem Tanzschulkurs war die Mimik in den meisten Fällen introvertiert bis Betonklotz, also extrem minimal.

Ich habe mir extra nochmal die DVD mit meinem eigenen Auftritt beim Nachtcafé und meine eigenen Kochvideos herausgesucht - und dabei ist mir extrem aufgefallen dass die Nutzung der Funktionen sehr stark von den Umständen variiert. Alles was kein Interview ist kann man sowieso vergessen weil ein Teleprompter die Augenbewegung völlig durcheinanderbringt. Beim Nachtcafe war ich sehr, sehr Te-lastig und ich habe das damals wohl auch bewusst so gemacht - wenn Du dich verkaufen willst, kannst Du nicht wie ein Schluck Wasser herumhängen und in die Landschaft starren (die Ni-Beispiele auf der Seite sind krass!). Ni ist wohl bei mir dominant, aber eben situationsabhängig wie eben jetzt beim Blogartikel-schreiben. Auf der anderen Seite ist es kaum verwunderlich dass ich beim Kochen (was ja eine Se-Tätigkeit ist) ich auch eine Se-Körpersprache habe.

Selbst nach nur einigen wenigen Datenpunkten zeigt sich damit schon das primäre Problem: die Typen nach den zwei (nach Jung/MBTI theoretischen) Hauptfunktionen zu trennen macht keinen Sinn, und genau das machen sie aber wenn sie versuchen die Körpersprache für die 16 Typen zu beschreiben. Was ich immer schon gesagt (und hier geschrieben) habe: es ist von Person zu Person sehr unterschiedlich wie stark die Funktionen ausgeprägt sind. Vultology trägt dem insoweit Rechnung dass die Funktionen sich zwar in der Reihenfolge nach bisherigen Modellen halten, mit einem Strichcode aber diversifizieren ob diese Funktionen aktiv sind. Bei mir wäre das II-I, also Ni, Te und Se aktiv, Fi aber kaum. Und das erklärt eben sehr schön warum viele NiTe so schläfrig sind und mehr oder weniger realitätsentrückt sind - passives, unterentwickeltes Se.

Und schon auf den ersten Blick wird klar dass ein anderer "Kult" recht hat - dass es Versionen der 16 Typen gibt bei denen die Reihenfolge abweichend ist, man eben doppelt extrovertierte oder introvertierte Varianten hat, zumindest nach außen. Es wäre ja schön, dass man die Existenz der Funktionen und damit der Typen beweisen könnte und damit endlich diesen Makel der "Unwissenschaftlichkeit" abschütteln könnte, aber wie immer im Leben ist es halt kompliziert. Nicht alles was extrovertiert aussieht ist auch extrovertiert, so viel ist jetzt schon mal klar. Vielleicht ist es sogar invertiert: wenn jemand nach außen hin extrovertiert agiert dann kann er energetisch leicht introvertiert sein - und umgekehrt. Oder um es anders zu sagen: man sieht ob es Ni-Te oder Te-Ni ist wirklich erst wenn man Stunden mit anderen Menschen zusammen war und die gespeicherte Energie alle ist. Wie beim E-Auto läuft Te oder Se nämlich auch prima aus der Batterie. Ob das jetzt tatsächlich erlernt wird oder ob das auch angeboren ist - die Kapazität dieser Batterie ist jedenfalls sehr unterschiedlich. Das wurde mir offensichtlich als ich bei dem "Date" in München war. Nach einem ganzen Tag hatte ich so gegen sechs, sieben Uhr abends noch Reserven, mein Gegenüber aber nicht mehr - obwohl Sie sich als ENTJ getestet hatte. Die einzige Erklärung: in Wirklichkeit ein INTJ, mit einer Batterie die aber sogar noch kleiner ist als meine. Auf der anderen Seite habe ich jetzt auf zwei Tage eine Küche montiert und mit Fahrt waren das einmal 11 und dann noch mal 12 Stunden - und danach war ich völlig fertig, habe mich nur noch ins Bett gelegt und bin eingeschlafen.

Es gibt wohl Unterschiede in der Körpersprache zwischen INTJs und ENTJs - aber je nachdem können sie sehr subtil sein, der ENTJ einfach noch eine Spur energischer, wenn jeweils Ni und Te aktiv sind. Aber das dürfte sich schwer mit Strichlisten fassen lassen.

Für mich hat sich zumindest schon mal eines gezeigt: ich stehe bekanntlich auf INTPs - TiNe, aber eben auf die Sorte bei der Ne und Fe auch aktiv sind. Rein Ti ist gelinde gesagt etwas fade und es ist gerade die Energie von Ne die diese Menschen für mich interessant macht - und ich eben unterbewusst nach den "Ne-Augen" gesucht habe.

Wahrscheinlich hat mich diese Geschichte jetzt für mein ganzes Leben geschädigt weil ich wohl kaum wieder mit jemandem reden kann ohne seine Mimik zu beobachten. Was dann auch wieder meine eigene Mimik durcheinanderbringt weil ich dann weniger in die Landschaft starre als mehr mein Gegenüber direkt ansehe.

Die ersten Erfahrungen sind aber sehr vielversprechend: Carlo Masala ist ein INTJ wie er im Buch steht: Ni-Te-Fi in der Reihenfolge, alles schön erkennbar. Auf der anderen Seite ist Up and Atom wieder kompliziert: Ne ist klar wie Kloßbrühe, aber danach? Nach dem Hauptcontent auf dem Kanal kann man kaum gehen und für Te, Fe, Ti und Fi habe ich wenige und ungefähr genauso viele Signale gefunden. Ohne es jetzt gezählt zu haben (zählt man die Zahl der verschiedenenen Signale oder die absolute Häufigkeit?) würde ich aber zur Ti-Fe-Achse tendieren - das wäre ENTP. Es gibt nach MBTI nur zwei Ne-dominante Typen und ENFP liegt auf der Fi-Te-Achse.

Auf den ersten Blick scheint es diese Achsen auch zu geben - entweder auf der Judging-Seite (Te-Fi und Fe-Ti) oder auf der Perceiving-Seite (Ne-Si und Ni-Se). Wobei es häufiger zu sein scheint dass es eine dominante Perceiving-Funktion gibt (Ne, Si, Ni oder Se) die aktiv ist und man dann entweder eine dominante oder eben die Achse der Perceivingseite hat. Zum Beispiel Donald Trump: Si (den Kopf schräg halten und schräg nach unten blicken) und Fi (die komische, gehauchte Stimme, der ständig verletzte oder schmollende Ausdruck). Oder Glenn Kirschner: Ni (das breite Stirnrunzeln, der abwesende Blick) und Fe-Ti: weiche Gesten zur Artikulation, die Finger zur Pinzette). Oder noch ein paar mehr. Achtung: die Perceiving-Typen nach MBTI habe eine dominante Judgement-Funktion, dass ist etwas irreführend.

Deshalb geht meine Vermutung bis jetzt dahin dass man Extro/Introvertiert (jedenfalls nach der internen, energiebezogenen Definition) nicht aus der Körpersprache erkennen kann, das wird durch den Batterie-Effekt zu sehr verfälscht. Das macht auch Sinn wenn man bedenkt, dass nach der Jung/Myers-Briggs-Theorie intro- und extrovertierte Typen ja die gleichen Funktionen verwenden. Und vier Perceiving - Funktionen mal zwei Judgement-Achsen ergibt acht, das würde also passen. Nur eben mit der Einschränkung, das eben doppelt introvertierte oder extrovertierte Varianten häufig vorkommen - in der Körpersprache. Auf der psychologischen Seite glaube ich nach wie vor, dass es diese 16 Typen (mindestens) gibt, was die interne Verarbeitung von Information betrifft, dafür sind die Unterschiede zwischen N- und P-Typen in ihrem Verhalten in der Realität einfach zu gravierend.

So formuliert würden sich die acht in der Körpersprache erkennbaren Typen so erkennen lassen:

  • Ni + Te/Fi = xNTJ
  • Ni + Fe/Ti = xNFJ
  • Ne + Te/Fi = xNFP
  • Ne + Fe/Ti = xNTP
  • Si + Te/Fi = xSTJ
  • Si + Fe/Ti = xSFJ
  • Se + Te/Fi = xSFP
  • Se + Fe/Ti = xSTP

Ich werde also weiter genau hinsehen müssen, am Besten bei Testpersonen bei denen man den Typ kennt um zu schauen ob das so hinkommt.

Nachtrag: Gegeben meine persönliche Faszination mit INTPs habe ich mal meine INTP-Playlist bei Youtube durchgeschaut und voilà - es funktioniert. Man sieht Ne + Fe/Ti tatsächlich sowohl bei denen bei denen der Typ dabeisteht:

als auch bei denen wo ich es aus dem Bauch heraus vermutet habe:

So besehen ist das schon sehr erstaunlich dass die Methode so gut funktioniert. Man schaut zuerst auf die Augen, die verraten einem meistens die Judgement-Funktion (Ne, Se, Ni oder Si), zusammen mit der Körperhaltung. Und dann schaut man auf die Gestik und da tauchen meistens Element aus einer der beiden Achsen (Te-Fi oder Ti/Fe) auf.

Und wo ich schon mal dabei war - die Frau ist mir vorher nur auf Fotos aufgefallen: Taiwans Präsidentin Tsai Ing-Wen ist auch eindeutig ein INTP. Die Liste hat noch eine Handvoll weitere Einträge die ich noch nicht geprüft habe, aber das war es auch schon - man sieht wie selten INTPs eigentlich sind wenn das alles ist was man auf Youtube finden kann.

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Nachdem Vultology so wunderbar funktioniert und man damit aus einem Video den Typ eines Menschen erkennen kann schaue ich mir natürlich bestimmte Personen an bei denen mich interessiert wie sie denken. Und dabei bin ich auf zwei bekannte Politiker gestoße

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