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Geburtsfehler der Demokratie

Ist die westliche Demokratie die Ultima Ratio? Obwohl sie sehr erfolgreich ist wohl eher nicht, wie jetzt Emmanuel Macron feststellen muss und damit gleichzeitig auch meine Argumentation bezüglich der Energiewende untermauert. Es geht im Kern darum, dass man in einer Demokratie den Menschen effektiv nichts wegnehmen kann und deshalb nötige, aber unangenehme Reformen nicht durchgeführt werden. Macron wurde ja 2017 mit überwältigender Mehrheit zum französischen Präsidenten gewählt und diese Position ist mit Befugnissen ausgestattet die die des deutschen Bundeskanzlers deutlich übersteigen. Seine Botschaft war von Anfang ein Aufbruch und die Umsetzung lange überfälliger Reformen. Das Problem in einer Demokratie sind aber salopp gesagt die Wähler.

Protest Gelbwesten in Belfort
Protest Gelbwesten in Belfort von Thomas Bresson Link

Um eine Wahl zu gewinnen muss man erst einmal nur eine mehrheitsfähige Botschaft mitbringen. Martin Schulz ist so ein Fall: als er mehr oder weniger aus dem Nichts (man hat das Amt des EU-Parlamentspräsidenten in Deutschland nicht öffentlich wahrgenommen) als Heilsbringer der SPD aufgetaucht ist wurde er mit 100% der Stimmen, dem besten Wahlergebnis aller Zeiten als SPD-Vorsitzender gewählt und lag kurzzeitig in den Umfragen sogar vor Angela Merkel. Dummerweise war er etwa ein halbes Jahr zu früh dran, in der Zeit bis zur Bundestagswahl ist er sich treu geblieben und bis zum Wahltag hat er sich gründlich entzaubert. Ein dramatisches Beispiel aus der Vergangenheit zeigt aber deutlich, dass solch ein Ausgang nicht sicher ist: Die Nationalsozialisten waren 1932 ein genauso trauriger Haufen, trotz heftigem Wahlkampf blieben sie einstellig - dann kam die Weltwirtschaftskrise und katapultierte sie aus dem Nichts über die 30%-Marke obwohl die führenden Köpfe schon damals so illuster waren wie sich in der Folge traurigerweise bestätigt hat. Der Fall Donald Trump fällt dann auch in die gleiche Kategorie, betrachtet man die Statements die der Mann vor der Wahl abgegeben hat. Man kann daraus nur den traurigen Schluss ziehen: Der Wählerwille in einer Demokratie ist nun einfach unzuverlässig und leicht beeinflussbar und man kann keinesfalls davon ausgehen dass der objektiv am Besten für den Job geeignete Mensch auch ins Amt gewählt wird, dies dürfte die unwahrscheinliche Ausnahme sein. Kein rationaler Mensch würde das Schicksal der Erde einem solch unberechenbarem Prozess anvertrauen.

Das ist die kurzfristige Sichtweise: Wenn die Legislaturperiode lang genug ist kann ein entschlossener und prinzipientreuer Mensch ein Amt dafür ausnutzen das Richtige zu machen. In den meisten Fällen setzt sich aber die langfristige Sichtweise durch und die ist nochmal um Größenordnungen schlimmer: Weil die zu wählenden Politiker Berufspolitiker sind deren Zukunft vom Ausgang der nächsten Wahlen abhängt, es eben um die eigene Karriere geht, treffen die meisten Politiker ihre Entscheidungen mit dem Fokus auf ihre Wiederwahl und den Machterhalt - das Paradebeispiel dafür ist wohl Angela Merkel. Es betrifft natürlich nicht alle Entscheidungen - im Fall der Flüchtlingskrise hat Sie aus humanitären Gesichtspunkten die Grenzen geöffnet und eine besonders bei der CSU sehr unpopuläre Entscheidung getroffen, ich sage nur Obergrenze - in den meisten anderen Fällen hat sie aber den Weg bestritten der ihr den Machterhalt langfristig garantiert hat. Sie ist damit angetreten den Atomausstieg rückgängig zu machen, hat auch angefangen dies umzusetzen nur um die Rückgängigmachung wieder rückgängig zu machen als es in Japan einen Tsunami gab. Prinzipientreue sieht anders aus.

Im Fall von Macron sieht es nicht ganz so dramatisch aus: Er ist wohl entschlossen sein Programm durchzuziehen, in seinem Fall geschieht dann aber etwas anderes: Der Protest entlädt sich auf der Straße, wie jetzt am 5. Dezember. In diesem Fall wollte er ja noch nicht einmal allen Menschen etwas wegnehmen sondern im Rahmen einer Rentenreform nur die Privilegien bestimmter Branchen abschaffen, also gemäß dem franzöisischen Nationalmotto für "Égalité" sorgen - weil es sich aber um Schlüsselbranchen des öffentlichen Dienstes handelt ist es fraglich ob er dies gegen den Protest auch tun kann.

Die Quintessenz der Demokratie ist deshalb leider dass es praktisch unmöglich ist die langfristig nötigen Maßnahmen zu beschließen wenn diese kurzfristig unpopulär sind - oder bildlich: dem Kind den Lolli wegzunehmen. Im Fall der Energiewende in Deutschland: Was beschlossen wird ist völlig unzureichend weil die eigentlich nötigen Maßnahmen ganz sicher eine Regierungsbildung nach der nächsten Wahl fast unmöglich machen würden. Meinem Vorschlag erginge es auch nicht besser: Die Nutzung der Kernenergie würde zwar das Problem lösen dass der Lebensstandard zwangsweise sinken muss um die Einsparungen realisieren zu können. Fossile Energie ist einfach am günstigsten und alles andere wird teurer was im Kapitalismus gleichbedeutend ist mit geringerer Verfügbarkeit, eine Urlaubsreise können sich dann weniger Menschen leisten und das kommt einem sinkenden Realeinkommen gleich - jeder der etwas anderes behauptet belügt sich selbst -, dafür gibt es aber viel zu viel Hysterie und ideologisch aufgeladene Fundamentalopposition gegen die Nukleartechnik weshalb dies höchstwahrscheinlich jetzt auch nicht mehrheitsfähig ist. In Zukunft vielleicht schon wenn die Effekte für jedermann schmerzhaft spürbar werden, aber da ist es schon zu spät beziehungsweise wurde wertvolle Zeit verschenkt was genau genommen bereits jetzt schon lange der Fall ist.

Hingegen hat eine Partei, deren offizielle Linie es ist das der derzeitige Klimawandel natürlichen Ursprungs ist (ergo: wir können weiterleben wie bisher) jetzt schon knapp 20% Zustimmung und das könnte in Zukunft noch weiter wachsen und ist jetzt schon dafür mitverantwortlich dass politisch nicht mehr viel läuft. Wie soll es auch, wenn die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition krachend gescheitert sind und die stark geschrumpfte GroKo auch schon vor dem Ende steht. Das ganze erinnert an ein Huhn, das auf freiem Feld vom Fuchs gestellt wird und sich totstellt. Nichts tun ist eine legale Option, in dem Fall aber mit finalen und fatalen Konsequenzen.

Dummerweise ist die Demokratie dann noch ein selbsterhaltendes System - in den seltensten Fällen hat sich eine Demokratie selbst zugunsten eines anderen Systems abgeschafft. Alternativen gibt es genug: Ich habe mal einen spannenden Artikel über die antike Demokratie gelesen die nicht auf Wahlen beruhte sondern auf einem Losverfahren. Dieser kleine Unterschied hat aber erhebliche Konsequenzen da die langfristige Komponente wegfällt: Es gibt keine Wiederwahl und keine Parteien, die Mandatsträger können deshalb alleine nach ihrem Gewissen entscheiden was interessanterweise zu sehr rationalen Ergebnissen führt. Man kann auch von Putin halten was man will, erfolgreich ist sein System: Er hat per Dekret einfach mal das Rentenalter um fünf oder acht Jahre erhöht und das in einem Land wo die Lebenserwartung sowieso schon niedriger ist als im Westen. Anders als in Frankreich gibt es dann aber keinen Generalstreik und die "Wiederwahl" Putins ist sowieso schon sicher. Leider bauen sich solche Systeme meistens um Menschen mit eher zweifelhaften persönlichen Motiven auf wobei Putin dabei eher sein Volk zugunsten seiner Nation schädigt.

Es ist aber extrem unwahrscheinlich dass sich in Deutschland etwas ändert, wir haben ja sogar ein Bundesamt für den Schutz der Verfassungsgemäßen Ordnung, sehr geehrte Herren: vielen Dank für die Lektüre dieses Artikels, sonst liest ihn ja eh keiner. Besser wäre es ...

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