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Belustigungsindustrie

Bei all denjenigen die über die Folgen des Corona-Shutdowns jammern sticht die wohl größte Gruppe derer heraus, die ihr Geld damit verdienen andere Menschen zu "belustigen" (eine INFP-Wortschöpfung). Im Primärsektor gibt es keine großartigen Veränderungen - außer dass hier der Verbrauch etwas eingebrochen ist wie zum Beispiel beim Rohöl. Das sind aber ganz normale Schwankungen mit denen ein Unternehmen fertig werden muss. In der Industrie ändert sich bei all denjenigen die langlebige Güter herstellen ja auch nichts, der Bedarf verlagert sich höchstens nach hinten. Bei den Dingen täglichen Bedarfs sollte sich gar nichts geändert haben oder es gibt - wie beim Toilettenpapier - sogar einen Nachfrageschub.

Was ich für sehr fragwürdig halte ist die Situation des stationären Handels: Gut, die Verkaufsstellen sind/waren geschlossen und damit kann kein Umsatz generiert werden. Die Lohnkosten fallen aber wegen des Kurzarbeitergelds weg und die Mietnebenkosten wie Strom und Heizung auch (zumindest zum größten Teil). Wenn man keine Verkäufe hat muss man auch keinen Wareneinkauf machen was der weitaus größte Kostenfaktor ist. Bleiben die Mieten und die kann man auch teilweise senken weil man die Mietsache nicht so nutzt wie vertraglich vereinbart. Wenn ein Unternehmen jetzt den verbleibenden Rest nicht aus seinen Rücklagen stemmen kann, wie dünn arbeiten die? Von der Hand in den Mund? Wenn die Unternehmer während dieser Zeit ihren eigenen Lebensunterhalt nicht mal für einen Monat decken können, wie wollen Sie das für 20 oder mehr Jahre in ihrem Ruhestand machen? Hat hier die Krise einen sowieso nur dünnen Schleier über der katastrophalen Situation vieler Betriebe gelüftet?

Ordentliche Handelsunternehmen sollten also kein Problem haben. Die unbestreitbar größten Auswirkungen gibt es aber bei allen die direkt oder indirekt Geld damit verdienen andere Menschen zu belustigen. Und da macht sich stark bemerkbar dass ich als INTJ der auf dem Land lebt ein sehr verschobenes Bild zur Belustigung habe. Die ist nämlich praktisch nicht vorhanden. Nicht dass ich keinen Spaß hätte - die meiste Zeit mache ich ja irgendwas und das macht Spaß - und für den Rest lese ich entweder Bücher oder spiele, neuerdings ist mein Interesse an Schach wieder aufgeflammt. Aber all das wofür es die Mehrheit der Menschen in die Städte zieht findet bei mir nicht statt. Und was für eine Mega-Industrie hat sich rund um die Belustigung der Menschen gebildet: Das geht beim Sport los, dessen Wirtschaftsfaktor ja weitgehend darin liegt jede Woche Millionen von Menschen in die Sportstätten als Zuschauer zu locken und noch mehr vor die Bildschirme. Oder eben "Kultur"-Angebote - also Kunst in allen möglichen Formen. Dann gibt es die Gastronomie für alle denen das was sie selbst kochen können nicht gut genug ist. Die Tourismusindustrie: Menschen belustigen sich indem sie sich andere Gebiete der Erde ansehen und dort ihre Bedürfnisse stillen. Weil in diesen Gegenden aber der lokale Bedarf sehr viel kleiner ist gibt es eine Riesenindustrie den durch die Belustigung zusätzlich entstehenden Bedarf zu decken und noch dazu die Leute hin und her zu transportieren (Warum hat sich eigentlich noch nie jemand über den Umsatz beschwert der zu Hause fehlt weil die Leute alle in Urlaub weg sind? Gut, die Mieten laufen auch im leeren Haus weiter und zu Hause geht man seltener in die Gastronomie, im Urlaub praktisch ausschließlich, also findet zusätzliche Wertschöpfung statt).

Ganz banal: Brauchen wir das alles überhaupt? Genauer gesagt: In dieser Menge? Oder äußert sich unser Wohlstand eben darin, dass wir uns so belustigen können? Dreht man die Uhr zurück - vor 200 Jahren war für den Durchschnittsbürger an das alles in diesem Umfang gar nicht zu denken. Oder ist die ganze Belustigung nicht nur "Opium für das Volk"? Es gab immer schon Menschen die da nicht mitgemacht haben und einen asketischen Lebensstil haben, man denke nur an Mönche (schon mal jemand einen Mönch am Ballermann gesehen?). Oder noch anders gefragt: Wie sähe die Welt aus wenn alle Menschen ihre Freizeit zumindest zum Teil dafür einsetzen würden etwas uneigennützig zu schaffen? Ich versenke die Stunden gerade dutzendweise in ein neues Feature für Serendipity und das macht nicht weniger Spaß als irgendwas zu konsumieren. Gut, man kann nicht dauernd aktiv sein, aber die ganzen Buchautoren sind durch die Krise vielleicht sogar produktiver geworden und für das relativ neue Medium Youtube gilt das auch. So hat The Big Greek den Erfolg seines Kanals auch eindeutig der Krise zu verdanken. Gut, wenn man als Schachmeister nicht auf Turniere fahren kann, dann sucht man sich eben einen anderen Weg zum Geldverdienen.

Und eines ist sicher: diese ganze Belustigung wird noch mindestens ein Jahr lang deutlich beeinträchtigt sein. Wenn man bedenkt, dass die Verbreitung der Krise ja auch erst durch die Belustigung ermöglicht wurde: Chinesische Touristen haben den Virus aus dem Land verschleppt und Skitouristen aus ganz Europa haben den Virus aus Ischgl überall verteilt. Also sollte man wirklich einmal innehalten und sich fragen ob das alles wirklich so sinnvoll ist.

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