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Selbstdisziplin

"Lockerungsdiskussionsorgie" - die schöne Wortschöpfung der Bundeskanzlerin macht ihrem Frust wirklich treffend Luft. Nachdem ich mich jetzt durch verschiedenes Material gehört habe, habe ich zum einen festgestellt, das Prof. Christian Drosten eigentlich nur ein INTJ sein kann. Ich habe mir einen der Podcasts im NDR angehört und so wie er redet ist das ziemlich eindeutig. Und es ist nicht nur seine Meinung sondern ich habe es jetzt schon an verschiedenen Stellen gehört dass man das Virus in Deutschland mehr oder weniger hätte ausrotten können - ja wenn denn die Lockerungsdiskussionsorgie nicht schon vor Ostern losgegangen wäre.

Schon damals wurde angemahnt, dass man einen Ausstiegsplan bräuchte und das hat sich dann so verselbstständigt dass sich die Länder ab dem 20. April praktisch gegenseitig darin überboten haben Lockerungen einzuführen, mit so krassen Einzelfällen wie das Outlet-Center in Zweibrücken. Was tatsächlich versäumt wurde: Einen konkreten Öffnungsplan zu machen der an bestimmte Meilensteine gebunden ist. Dies ist wissenschaftlich natürlich etwas schwierig weil ja dauernd neue Ergebnisse hinzukommen und wenn man so einen Öffnungsplan formuliert wird der politisch natürlich sofort als verbindlich hingenommen. Aber trotzdem: Warum hätte man nicht ein paar Wochen weiter durchhalten können? Ich für meinen Teil hätte immer noch genug Arbeit auf der ToDo-Liste gehabt ohne in große Langeweile zu verfallen und Drosten hat recht wenn er sagt dass wir mit sehr zurückhaltenden Maßnahmen (es gab ja noch nicht einmal eine Ausgangssperre) sehr viel erreicht haben.

Andererseits waren solche Faktoren wie die Herdenimmunität sehr leicht voraussehbar - das dauert Jahrzehnte bei der derzeitigen Ansteckungsrate und ist keine Lösung. Vielleicht muss man auch denken und vorausplanen wie ein INTJ um eine solche Selbstdisziplin an den Tag legen zu können. Dazu gehört zu allererst eine gründliche Bestandsaufnahme der Situation, man muss also überhaupt wissen was Sache ist. Die Knackpunkte sind da schnell genannt: Eine große Zahl an Quasi-Arbeitslosen (10 Millionen Kurzarbeiter) die dann auch finanzielle Probleme bekommen, die überforderten Mütter im Home-Office die gleichzeitig Homeschooling machen müssen, die Kleinselbstständigen die vor dem finanziellen Kollaps stehen und so weiter. Auf der anderen Seite gab es Gelegenheiten die einfach verpasst worden sind: Der große Run auf Klopapier, Konservendosen, Mehl und Nudeln hätte auch dringend benötigtes Geld in die Kassen spülen können wenn man da über einen kurzfristig erhöhten Mehrwertsteuersatz zum einen Hamsterkäufe hätte unattraktiv machen können und wer es dann doch macht wäre bestraft worden. In meinem REWE war 550er Mehl erst jetzt wieder verfügbar und meine Lieblings-Nudelsorte gibt es immer noch nicht. Ein weiterer Dorn in meinen Augen sind die explodierten Preise bei Schutzausrüstung - auch hier hätte ich die Gewinne kräftig abgeschöpft und gleichzeitig als Staat selbst daran vorbei meine systemrelevanten Bereiche versorgt was natürlich einfacher ist wenn man die Konkurrenz durch rabiate Besteuerung drückt.

Im Prinzip funktioniert das alles doch wie in einem Uhrwerk: Man sieht wo welche Probleme auftauchen und dreht an den Stellschrauben und dann tritt man immer wieder einen Schritt zurück und schaut wie sich das auf das Uhrwerk als ganzes auswirkt.

Beispiel Homeschooling: Das war und ist natürlich nicht der Sinn der Sache. Aus gutem Grund gibt es das in Deutschland nicht und man soll auch in so einer Krise nicht damit anfangen. Mütter sind eben nicht zwangsläufig auch gute Lehrer und selbst wenn im Homeoffice (oder "Pantoffelbüro" wie das der Kommentator des Trierischen Volksfreunds so schön getauft hat) haben die ja zu tun. Nein, hier liegen die Probleme woanders: Die Lehrer haben hier das gleiche gemacht was sehr viele Angestellte in so einer Situation machen: fehlt der offensichtliche Druck, lassen sie es eben ruhiger angehen. Wenn man eben keine Unterrichtsstunden geben muss dann fehlt vielen der Antrieb aus eigener Kraft einen vollwertigen Ersatz zu schaffen. Natürlich funktioniert das auch ohne den persönlichen Kontakt, Online-Bildungseinrichtungen wie Coursera beweisen das ja. Aber dafür muss der Lehrer sich hinsetzen und Online-Kurse erstellen die dann auch funktionieren. Es ist kein Geheimnis, dass es mit sehen, hören und anfassen drei Lernkanäle gibt und ein (gutes) Fernstudium bezieht möglichst alle mit ein. Es ist eine faule Ausrede und kann nicht funktionieren wenn der Lehrer einfach nur sagt, man solle Kapitel drei durchlesen und die Übungsaufgaben 4 bis 6 machen.

Wenn man es ganz schlau gemacht hätte hätte man auch das Erstellen der Lerninhalte zusammenfassen können - es muss ja nicht jeder Lehrer seinen eigenen Onlinekurs für Mathe in der 9. Klasse machen. Aber dann kommt der zweite Teil: Die so gewonnene Zeit muss dann für eine persönliche Onlinebetreuung genutzt werden. Das kommt bei Massenkursen wie Coursera etwas kurz, bei dem Lehrer/Schüler-Verhältnis wie es aber vorliegt ist das kein Problem.

Das ist jetzt mal exemplarisch für ein Problem und wie man es lösen kann. Taucht dann ein weiteres auf: "Schüler in Problemgruppen können da nicht mitmachen und rutschen ab", dann wird das eben systematisch als nächstes gelöst und wenn man diesen Rest dann eben unter Sondervorkehrungen trotzdem in die Schule holt. Wir haben ja nicht umsonst einen solch riesigen Staatsapparat, der muss in so einer Situation eben besonders aktiviert werden: Die Führung gibt Problemlösungsansätze vor und der Apparat soll das dann gefälligst auch umsetzen, dafür werden sie schließlich auch bezahlt. Und dazu gehört auch dass man Leute abstellt die sich Gedanken darüber machen wer hier welche Probleme durch einen verlängerten Shutdown bekommt. Die geschlossenen Kitas sind so ein Problem aber das geht ja auch so schnell nicht weg. Prinzipiell ist das nur ein Verteilungsproblem: Auf der einen Seite haben wir die Kurzarbeiter die nichts zu tun haben, auf der anderen Seite eben die berufstätigen Mütter die zu viel zu tun haben. Das ist jetzt etwas komplizierter aber dafür muss es doch auch eine kurzfristig umsetzbare Lösung geben. Nur scheint sich die Politik um diese Probleme bis jetzt noch gar nicht wirklich gekümmert zu haben - oder wenn sie es hat, dann ist es nicht kommuniziert worden was genauso schlimm ist.

Ich für meinen Teil kann sehr gut damit leben, solch große Herausforderungen eben Stück für Stück zu verdauen wenn ich eben jeden Schritt planen kann. Deswegen wäre das auch kein Problem gewesen mit der Lockdown-Situation noch etwas länger umzugehen da ich das eben auch als Problem angegangen bin und eine möglichst gute Lösung entwickelt habe. Und je länger es dauert verändert sich das Problem und dann verändert man eben auch die Lösung. Das das funktioniert kann man ja live verfolgen: Da gibt es einen holländischen Organisten der eben keine Konzerte geben kann. Der steigt dann eben auf Youtube um und hat auf einmal viel mehr Zuhörer als er im normalen Leben jemals hätte. Wenn die Einnahmen dann trotzdem nicht zum Leben reichen - da kann der Staat nachsteuern. Aber man sollte grundsätzlich hingehen und solche Initiative belohnen und den Einsatz von Helikoptergeld möglichst beschränken. Aber da sind wir wieder bei einer psychologischen Grundsatzdiskussion, dass die selteneren N-Typen eben viel anpassungsfähiger sind als ihre S-Gegenstücke.

Für diejenigen muss man dann halt hingehen und einen vorläufigen Plan erstellen wo man all diese Erkenntnisse zusammenträgt und für jedermann transparent hat. Jeder der sich nicht aus eigener Kraft helfen kann sollte hingehen können und sein Problem in diesem FAQ finden und dann eine Lösung aus dem Plan entnehmen können. Es sind ja genug Ressourcen da und anstelle in Lethargie zu verfallen (was ja leider passiert) muss die Gesellschaft da einen Gang höher schalten und im Eiltempo Problemlösungen anbieten. Und mit einer solchen Perspektive hätte man die kritischen Stimmen sehr viel länger eindämmen können. Natürlich kann man nicht jedem helfen, für die Leute die um die Freudenhäuser auf der Suche nach einem offenen Eingang herumstreichen fällt mir nun wirklich nichts ein - aber so viel Selbstdisziplin sollte man aber nun wirklich auch haben.

Das ist eben leider auch so eine Divergenz in der Bevölkerung: Es gibt Menschen die können sich durch eine unangenehme Situation eben viel besser durchbeißen solange es Licht am Ende des Tunnels gibt. Und eben andere die die Flinte schnell ins Korn werfen. Das war aber immer schon so, man denke nur an Diäten und Raucher-Entwöhnung - wenige schaffen es, viele bekommen einen Rückfall.

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Christine am :

Mentalität

Es ist einfach genial, welche Lösungsansätze du siehst!
Jedoch ist das grosse Problem :
Beruf oder Berufung?
Das eine unterscheidet sich vom anderem unter anderem durch die Leidenschaft dafür aus. Ein Politiker, der seinen Job acht, schaut über den Tellerrand hinaus. Der achtet auf die Konsequenzen und plant voraus. Nur das ist hier schwierig, da ja Kompetenzgerangel, Neid und Habsucht mit Intrigen Luft machen! Anstatt auch mal konstruktiv gemeinsam über den Tellerrand zu schauen...
Die Grundmentalität ist einfach:
Solange es geht, wird nichts gemacht!
Verschiedene Nöte waren schon vorher da. Nur es hat ja nicht jeden betroffen, und wenn darüber berichtet wurde, dann hat man das mitleidig zur Kenntnis genommen. Nur waren das jetzt Ausnahmen. Jetzt trifft es eine breite Masse!
Plötzlich sieht man, daß Lehrer teilweise nur an ihren Beamtenstatus denken bzw diesen Beruf gewählt haben. Und sich auch keine eigenen Ideen haben einfallen lassen, um nicht nur Frontalunterricht zu machen!
Jetzt ist es auch mal interessant, den Schülern anzubieten Computer von der Schule zu geben! Ging ja bei finanzschwachen Familien nicht. Kleine Anmerkung: wegen IT (Bayern) können die Kinder durchfallen, das Jobcenter sagt aber zum Computer immernoch Luxusware und gibt nichts dazu!
Was es leider schon vorher auch gab (ich bin Betroffene) tatsächliche Hilfe für Familien. Das was dann gut geklappt hat, ist Kinder Inobhut zu nehmen! Familien erhalten durch Hilfe die auf den Punkt kommt, gibt es auch nicht besonders reichlich! Es ist hier das Schema F. Wehe man kommt dahin! (bin ich leider auch betroffen)
Das schlimme ist, einen Lösungsansatz erstmal zu finden ist das eine, das andere ist ihn umzusetzen! Dafür ist das System nicht ausgerichtet. Hier können Ursache und Wirkung nicht auseinander gehalten werden!
Um es mit deinem Bild auszudrücken:
Wenn überhaupt entdeckt wird, daß es ein Uhrwerk ist, bei dem, wenn man was verstellt auch sich was anderes ändert, dann ist es denen Wurst. Geld scheint da auch keine Rolle zu spielen!!
Mit einem Wort, es macht einfach keinen Sinn!!
Dummerweise merkt es ja jetzt die breite Masse. Die ein oder andere Mutter hat schon einen langen Brief an Herrn Söder geschrieben. Ob gehandelt wird, wird man sehen. Nur eines ist gemeinsam: das zu späte Handeln!!
Ich hätte einen Ansatz für die Sache mit dem Freudenhaus:
Da diese Versäumnisse jedoch schon vor Jahren nicht angegangen worden sind - kriegt das auch keiner kurzfristig hin, die Konsequenzen zu minimieren.
-zum einen Eheberatung, auch schon vor der Ehe (die Beratungsstellen waren auch schon vorher chronisch überlastet 6 Monate zu warten ist schon Glück)
- weniger Freizügigkeit in allen Medien
- sexualerziehung nicht schon in der Kiga
Und Fokus auf Umgang im Zwischenmenschlichen Bereich.
- dazu kontrollieren der eigenen Gedanken üben, und schon den Ansätzen wehren
Die Frage ist jetzt nur noch, wird ein Umdenken stattfinden? Und wird aus dem Denken dann Taten? Werden die Konsequenzen aus den Taten richtig eingeordnet? Und hat man dann das gesamte Uhrwerk im Blick?
Man wird sehen. Aber dazu bräuchte es mehr N Typen an den Schaltwerk. Mehr Menschen, die Einsichtig sind und mit einer Idee mitgehen können. Somit auch kein Neid oder Kompetenzgerangel.
Ob wir das so kriegen werden? Es ist fraglich..
LG Christine

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